Einer liebt und leidet immer mehr

beziehungsweise-Autor Jonathan Bern über die Ungerechtigkeiten der Liebe. Und warum Berührungen und Anerkennung süchtig machen können.

Ich behaupte, dass es in der Liebe keine Gerechtigkeit gibt. Lieben und leiden sind eng miteinander verbunden. Wir sollten widersprüchliche Emotionen akzeptieren. In uns hineinhören, um herauszufinden, welche Art von Partnerschaft uns glücklich oder unglücklich macht.

Ich wollte im hier und jetzt leben

Ich weiß nicht mehr, ob ich öfter verlassen worden bin oder ob die Trennungen eher auf meiner Initiative herbeigeführt worden sind. Es spielt auch keine Rolle, denn in meinen Augen gibt es nie nur einen Gewinner oder nur einen Verlierer. Oft hält man sich an der Illusion fest, dass ein Neuanfang in der Liebe immer eine komplett andere Erfahrung mit sich bringt. Jede Frau, die mich damals magisch anzog, bedeutete mir zu dem Zeitpunkt alles. Ich wollte im hier und jetzt leben. Rückblickend bin ich der Ansicht, dass die Macht der Hormone viel stärker ist, als wir es zugeben möchten. 

Früher dachte ich, dass jede neue Beziehung durch einen magischen Zufall entsteht. Zwei fremde Menschen begegnen sich und der Blitz schlägt ein. Ich blendete Verletzungen und Konflikte aus meiner Vergangenheit aus. Es machte mich fast high und wollte diesen Rausch so lang wie möglich auskosten. Ich versuchte, mich mit aller Macht von den Dämonen meiner Kindheit zu befreien.

Erst nach vielen Jahren wurde mir bewusst, dass sich ein bestimmtes Verhaltensmuster oft wiederholte. In meiner Fantasie existierte eine heile Welt, in der ich die Geborgenheit finden würde, die ich als Kind immer vermisste. Meine neurotischen Eltern interessierten sich nicht für mich und ich musste sehr früh lernen, mich allein zu behaupten. Ich war süchtig nach Berührungen und nach Anerkennung. Ich machte meine ersten sexuellen Erfahrungen mit fünfzehn in den Armen einer zehn Jahren älteren Frau. Da unsere Familien befreundet waren, konnte ich damals problemlos bei ihr übernachten. Ich lernte sehr viel von ihr, zuerst das Küssen, danach das Streicheln und die Erotik. Alles fühlte sich besonders intensiv an und als Schüler zeigte ich eine unersättliche Lernbereitschaft.  

Ich war sprichwörtlich fast immer „blind“ vor Liebe

Sex spielte von Anfang an eine wesentliche Rolle in meinem Leben. Ich genoss es, zu verführen, aber auch verführt zu werden. Mein Wunsch nach Harmonie war so stark, dass ich mich mit zwanzig auf eine feste Beziehung mit einer Kommilitonin einließ. Ich blendete ihre krankhafte Eifersucht anfangs aus, aber nach fünf Jahren blieb mir keine andere Wahl, als sie zu verlassen. Die ersten Risse in dem Idealbild einer Partnerin wurden sichtbar. Auch ich war sprichwörtlich fast immer „blind“ vor Liebe. Leider erst im Nachhinein verstand ich, dass meine Enttäuschung nur das Ergebnis von falschen Erwartungen war. 


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