Wir lassen uns alle blenden …

Unser Autor Leonard Anders hatte früher große Minderwertigkeitskomplexe. Er projizierte seine Unzulänglichkeit auf Frauen, die seiner Meinung nach unerreichbar waren. Mittlerweile weiß er, dass das Aussehen oft nur eine Fassade ist und der Blick ins Innere meistens ein anderes Bild zutage kommen lässt. In diesem Beitrag beschreibt er die Beziehung zweier Menschen, die sich gegenseitig blendeten

Britta sieht gut aus. Sie ist hübsch, sie hat eine wohlgeformte Figur, sie hat Kurven und lange blonde Haare. Dazu hat sie ein zauberhaftes Lächeln, was Herzen schmelzen lässt. Britta ist ein echter Blickfang. Schon in der Schule standen die Jungs Schlange, aber keiner schien in der Lage, ihr Herz zu erobern.

Britta lacht oft, obwohl ihr eigentlich eher zum Weinen zu Mute ist. Sie zeigt es aber nicht. Sie will anderen nicht zur Last fallen. Ihr Vater hatte die Familie schon früh verlassen. Ihre Mutter verfiel dem Alkohol. Sie kam einerseits nicht damit klar, dass ihr Ex-Mann sie für eine Jüngere verließ, andererseits gab sie sich aber auch die Schuld dafür, ihrer Tochter keine heile Welt vorspielen zu können. Ihre Mutter wollte es besser machen als ihre Mutter, die ebenfalls alleinerziehend war.

Hübsch bedeutet unerreichbar?

Als ich jünger war, so um die 20, kannte ich viele Frauen wie Britta. Und ich dachte einerseits, dass Frauen wie Britta total oberflächlich wären, eben weil sie so hübsch waren, andererseits dachte ich aber auch, dass sie jeden haben könnten. Ich hielt es schlichtweg nicht für möglich, dass Frauen wie Britta auch unter Selbstwertprobleme leiden könnten und dass ihr hübsches Aussehen und ihr strahlendes Lächeln nur Fassade sind, damit niemand sehen kann, wie es in ihnen wirklich aussieht.

Hätte ich Britta immer noch attraktiv gefunden, wenn ich gewusst hätte, wie es in ihr aussieht? Ich weiß es nicht. Möglich wäre dies jedoch, so oberflächlich wie ich selbst unterwegs war. Denn ich war derjenige, der es ausgeblendet hat, dass sie nicht nur aus ihrer Hülle besteht, sondern möglicherweise auch aus verletzlichen Anteilen. Ich habe Britta nach ihrem äußeren Erscheinungsbild begutachtet. Meine Augen entschieden, was ich schön fand.


Weitere interessante Beiträge
Ist Ghosting manchmal in Ordnung?
Weiterlesen

Wann es ganz okay ist, jemanden zu ghosten

Ghosting ist schrecklich, weil es den Verlassenen schmerzt, ohne Angabe von Gründen und Erklärungen plötzlich allein gelassen zu werden. Trotzdem kann es durchaus Gründe dafür geben, den Kontakt zu einem anderen Menschen ohne langwierige Erklärungsversuche abzubrechen, weiß die Autorin Jana Seelig.