Mein Weg aus der Opferrolle

Sie lernte – aus ihrer Sicht – den absoluten Traummann kennen, den sie heiraten und nie wieder gehen lassen wollte. Doch es sollte alles ganz anders kommen als erwartet. Ein authentischer Fall, aufgeschrieben von Autor Leonard Anders

Er war dunkelhaarig, groß, schlank und doch männlich stark, selbstbewusst, zuvorkommend, aufmerksam, einfühlsam und all das, was ich ach so sehr vermisste. Er war zwar schon damals wegen Burn-out, Spielsucht, Depressionen, Angststörung und Panikattacken in Behandlung, aber das war mir egal.

Schnell stellte sich heraus, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Tja, aber was nur? Ich begann nachzuforschen und mich mit allerhand Psychokram zu befassen. Meine erste Hobbypsychologendiagnose lautete: Er leidet an einer Borderline-Störung. Kleinste Kleinigkeiten brachten ihn total zum Ausrasten. Er wechselte schneller zwischen „Du bist meine absolute Traumfrau“ und „Du bist die größte Schlampe unter Gottes Sonne“, als ich meinen Spitznamen (Evi) buchstabieren kann. Erste gemeinsame Therapieversuche bei seiner Gesprächstherapeutin folgten, blieben aber mehr als erfolglos.

Die Beziehung war geprägt von permanentem Zuckerbrot-und-Peitsche-Spiel zwischen Narzisst und Co-Narzisst. Auf derbste Beschimpfungen und Beleidigungen folgten enthusiastische Liebeserklärungen und Reuebekundungen. Das Ausmaß, wie immens krankhaft gestört unsere Interaktionen waren, war mir damals noch nicht bewusst.

Je mehr mir Freunde, Bekannte und Familie aufzeigen wollten, dass die Beziehung eine absolute Katastrophe war, umso intensiver beschäftigte ich mich damit, eine perfekte Fassade aufzubauen und allen inklusive mir selbst eine perfekte Beziehung vorzuspielen. Ich wollte ihnen beweisen, dass sie falsch lagen. Wir waren für einander bestimmt. Scheitern ging gar nicht! Ich ging in meiner Rebellion gegen erlebte und auch erlernte Verhaltensmuster der Kindheit auf.


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