Wenn Shoppen zur Sucht wird und die Beziehung belastet

Klinische Studien zeigen, dass Kaufsüchtige fast immer an weiteren psychischen Störungen (Komorbidität), insbesondere an Angst- und depressiven Erkrankungen, leiden. (1) Auch andere Zwangsstörungen und Störungen der Impulskontrolle, Essstörungen und Substanzabhängigkeiten sind häufig. (2) „Da sich viele Betroffene nicht von den angehäuften Waren trennen können, horten und stapeln sie diese auf zwanghafte Weise in ihren Wohnungen, was mit großen Schamgefühlen verbunden ist.“ (1) Alles in allem leidet auch das alltägliche und soziale Leben unter dem krankhaften Verhalten. Kaufen wird zum Lebensmittelpunkt.

Pathologisches Kaufen – eine psychische Störung

Obwohl der Begriff schon vor über 100 Jahren bekannt war (3), blieb die klassifikatorische Einordnung bislang uneindeutig. Im bisher noch gültigen ICD-10, dem internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten, sucht man das krankhafte Kaufen vergeblich, egal ob man es nun als Sucht, Abhängigkeit oder Zwang bezeichnet. Am ehesten wäre es, den „nicht näher bezeichneten Störungen der Impulskontrolle“ (F63.8) zuzuordnen. Jedoch finden substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungen in den letzten Jahren immer mehr Beachtung und wurden 2013 als solche auch in die überarbeitete Fassung des DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) aufgenommen. Auch im kommenden (2020 in Kraft tretenden) ICD-11 sollen laut WHO die nicht substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen als Verhaltenssüchte zusammengefasst werden. (1) Damit erst könnte die Kaufsucht neben dem pathologischen Glückspiel und der Internetsucht als eigenständige Erkrankung Anerkennung finden und könnte die Forschung um Therapieansätze erleichtern.

Wer und wie viele sind gefährdet?

Unter einem krankhaften Kaufverhalten sollen laut neuerer Studien 6-7 Prozent der erwachenden Bevölkerung leiden. (1) Zu einer ähnlichen Prävalenz kamen auch schon frühere Untersuchungen. Damit wäre die Kaufsucht fast so häufig wie depressive und Angsterkrankungen. Auch wenn genauere interviewbasierte Daten zur Häufigkeit bislang fehlen, lässt sich von einem relevanten Problem in der Bevölkerung sprechen. Pathologisches Kaufen betrifft alle gesellschaftlichen Schichten und Einkommensgruppen gleichermaßen. Auch Bildung und Familienstand scheinen keinen Einfluss zu haben. Ob mehr Frauen oder Männer betroffen sind, darüber besteht in der Forschungslandschaft Uneinigkeit. In den Therapiegruppen hingegen finden sich mehr Frauen als Männer. Eindeutig scheint zu sein, dass die Kaufsuchtgefährdung bei jungen Erwachsenen am höchsten ist. (1)

Wie pathologisches Kaufen die Partnerschaft belastet

Für Außenstehende, auch den Partner, ist das unangemessene und extreme Kaufen nicht nachvollziehbar und wird auch existenziell immer mehr zu einem Problem für die Partnerschaft.

Oft fällt sehr lange nicht auf, dass sich das Kaufverhalten nicht mehr im normalen Rahmen bewegt. Einkaufen gehört zwangsläufig zu unserem Alltag, wir können es nicht umgehen. Spätestens wenn sich finanziell die ersten größeren Defizite auftun und der Partner dennoch nicht auf weitere sinnlose Einkäufe verzichtet, wird das Problem offenkundig. Aber es sind nicht nur die finanziellen Belastungen, die die Betroffenen aber auch die Partnerschaft strapazieren,  sondern auch die damit einhergehenden emotionalen Konflikte und der Leidensdruck, der entsteht, wenn man sein eigenes Verhalten nicht mehr steuern kann, also Kontrollverluste erlebt. Kaufsüchtige sind sich in der Regel darüber im Klaren, dass ihre Einkäufe nicht adäquat und überflüssig sind, sie können sie dennoch nicht unterlassen, weil das pathologische Kaufen eine wichtige Funktion zur Emotionsregulation übernimmt. Es ist jedoch eine unangemessene Strategie, um Stress zu verarbeiten.

Der kurzfristige Lustgewinn, die positiven Gefühle, die sie verspüren, wenn sie dem Kaufimpuls nachgeben, werden teuer erkauft. Langfristig, meist schon unmittelbar nach dem Kauf, spätestens, wenn das neu erworbene Teil unausgepackt in der Abseite landet, kommen zunächst Schuldgefühle, dann Ängste (über die erneute Verschuldung, immer wieder die Kontrolle zu verlieren oder aufzufliegen) und letztlich Niedergeschlagenheit und depressive Verstimmungen, von denen man ohnehin vermutet, dass sie, wenn nicht sogar mitursächlich, so doch zumindest in den allermeisten Fällen gleichzeitig mit der Kaufsucht auftreten.

Die Gedanken ums Kaufen nehmen den Kaufwütigen vollständig ein. Es wird zum Lebensinhalt. Zwangsläufig leidet auch der Partner, muss er doch zuschauen, wie er den geliebten Menschen an die Krankheit verliert.

Häufig versucht der Betroffene aus einem Gefühl des Mangels (an Selbstwert, Zuwendung usw.) heraus, über das Kaufen, dieses negative Gefühl auszugleichen oder zu überzeichnen. Auch gesellschaftlich gilt Konsum als Zeichen für Erfolg und Glück, wer kauft, stellt etwas dar, kann es sich leisten, ist etwas wert. Dieser vermeintlichen Verbesserung des eigenen Status über das Kaufverhalten sind viele Kaufsüchtige erlegen. Erleichtert wird das durch die technischen Möglichkeiten, überall und immer einkaufen zu können und dafür nicht einmal mehr physisch das Geld ausgeben zu müssen, dank moderner Zahlungsverfahren. Jeder Einkauf ist nur einen Klick entfernt und die Kreditkarte zeigt mir das Elend auf dem Konto erst sehr viel später. Das Ausmaß der Verdrängung, aber auch des Kontrollverlustes, ist immens und die seelische Belastung erdrückend. Aus Schamgefühl und Angst davor, enttarnt zu werden, isolieren sich viele Betroffene, soziale Kontakte und Hobbys werden extrem vernachlässigt. Eine leidvolle Situation für Betroffene und Angehörige.


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