unerhört: Bin ich ein Narzisst?

Meine Partnerin wirft mir Narzissmus vor. Wie finde ich heraus, ob eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt?

Frage: Meine Frau wirft mir Narzissmus vor. Was mache ich nun? Bin ich wirklich ein Narzisst?

Meine Frau wirft mir nach 10 jähriger Ehe vor ich sei Narzisst. Sie spricht fast nur noch über sachliche und organisatorische  Dinge mit mir. Wir haben oft Streit und ich habe mich affektiv kaum im Griff, obwohl ich kein Teenager mehr bin. ln meinem Leben gab es einige Niederlagen. Mit denen bin ich nur schwer fertig geworden. Zu oft kritisiere ich die Fehler anderer. Das zieht meine Frau und andere herunter, was mir leid tut. Können Sie mir einen Rat geben?

Antwort: Eine Persönlichkeitsstörung gehört in die Hände von Fachärzten

Zunächst einmal danke für Ihren Mut, sich Unterstützung zu suchen. Das ist nämlich nicht selbstverständlich, gerade wenn es um dieses Thema und diesen Vorwurf geht. Aber das muss ich voranstellen: Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung benötigt einen längeren Zeitraum einer therapeutischen Begleitung und erfolgt durch auf solche Fälle spezialisierte PsychiaterInnen und ÄrztInnen. Das sollte auch Ihre Partnerin bedenken. Gleichzeitig beschreibt sie natürlich einen Konflikt, auf den Sie sich selbst und Ihrer Ehe zuliebe einen Blick werfen sollten.

Was ist eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?

Alle Persönlichkeitsstörungen sind Beziehungsstörungen“, sagt beispielsweise der auf Persönlichkeitsstörungen fokussierte Spezialist Rainer Sachse. Was er meint: Persönlichkeitsstörungen haben ihren Ursprung in frühkindlichen Traumata, ausgelöst durch schmerzhafte Verlust- und Trennungserfahrungen, durch Verwahrlosung, durch Missbrauch… Was bedeutet das: Die Verhaltensweisen, die Personen mit Persönlichkeitsstörungen entwickelt haben, sind deshalb gleichzeitig Überlebensstrategien, um mit diesen Traumata umgehen zu können. Es handelt sich um Schutzmaßnahmen, beispielsweise Rückzug, Furcht vor Bindung, Probleme mit Grenzen und Autoritäten uvm. Diese Maßnahmen sind vor allem Vermeidungsstrategien und versuchen, die früheren Verletzungen zu verdrängen. Manche Narzissten mögen beispielsweise tatsächlich ein erhöhtes Selbstbewusstsein zeigen, auf den ersten Blick. Aber dahinter steckt ein tief verletzter Selbstwert, der sich durch Anerkennung beispielsweise zu erhöhen versucht.

Die gängigen Klassifikations-Werke für psychische Störungen wie das ICD 10 listet für Persönlichkeitsstörungen definierte Symptome auf. Beispielsweise dass die Störung bereits in der Kindheit begann. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung nimmt im Vergleich zur dissozialen oder dependenten Persönlichkeitsstörung eine Sonderrolle ein und wird als “andere spezifische Persönlichkeitsstörung” geführt. Es ist also kompliziert. Eindeutig scheint mir aber, Ihre Frau findet Verhaltensweisen von Ihnen problematisch, Sie ebenso. Das sind Gründe genug, diesen nachzugehen.

Aus der Paartherapie habe ich die Erfahrung, dass der Vorwurf des Narzissmus meist nicht die Erkrankung meint, sondern in erster Line zum Ausdruck bringen will, dass die Partnerin oder der Partner emotional nicht oder schwer erreichbar ist. Dass die Bedürfnisse des Partners nicht gesehen oder erkannt werden. Dass Rückzug oder Aggression die Folge von Kritik sind und dass Kommunikation und Austausch kaum möglich sind. Oft manipuliert der narzisstische Partner auch stark, um seine Machtposition und die Paar-Dynamik aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund stürzen Narzissten so oft in tiefe, auch gefährliche Krisen, wenn sich ihre Partner ihnen entziehen. Denn dann bricht das alte Trauma wieder auf und sie kämpfen mit allen Mitteln dagegen. Und diese Mittel sind nicht gut für andere. Und letztlich auch nicht für die Betroffenen selbst. Aber, und das macht eine Persönlichkeitsstörung per Definition auch aus, diese Krankheitseinsicht besteht nicht.

Sind Sie nun ein Narzisst?

Wenn Sie sich also unsicher sind, ob bei Ihnen tatsächlich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegen könnte, dann wenden Sie sich bitte an eine Fachärztin oder einen Facharzt. Parallel möchte ich Ihnen ans Herz legen, bezüglich Ihrer Beziehung eine gemeinsame Paartherapie zu erwägen. Selbst im hypothetischen Falle einer pathologischen Störung auf Ihrer Seite, können Sie Ihre Beziehung nur gemeinsam verändern. Denn ungelöste Konflikte und Vermeidungsstrategien führen zu mehr Verbitterung, zu mehr Distanz, die Partner sprechen nicht mehr miteinander, das Beziehungsaus droht und diese drohende Verlusterfahrung sorgt für noch mehr Stress. Und der wiederum führt dazu, dass immer neue schmerzhafte Erfahrungen die Dynamik weiter verstärken und je nach Ausprägung ohne externe und fachkundige Unterstützung das Paar keinen Ausweg findet.

An einer solchen Dynamik sind jedoch immer beide Partner beteiligt. Wenn Ihre Frau, wie sie schreiben, auch für Sie nicht mehr emotional zu erreichen ist, verhindert sie ebenfalls eine Annäherung. Auch wenn sie dies höchstwahrscheinlich tut, um Verletzungen durch Sie zu vermeiden, lässt sich neue Nähe nur durch Nähe erreichen. Aber möglicherweise sind die Verletzungen, die sie erlitten hat, so schwerwiegend, dass diese Nähe nicht mehr möglich ist, weil sie sich schützen will und auch schützen muss. Sie selbst schreiben ja, dass Sie sich in Krisensituationen affektiv kaum kontrollieren können.

Dass Sie sich Unterstützung suchen, ist ein guter und wichtiger Schritt. Hören Sie jetzt nicht auf und gehen Sie weiter. Ich möchte Sie ermutigen: Machen Sie weiter und nehmen Sie Hilfe an. Es gibt spezialisierte TherapeutInnen, die beispielsweise mit der Schematherapie PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen helfen konnten. Auch Traumatherapie kann ein Weg sein. Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute.

unerhörtehrlich

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