Bin ich liebesfähig? Eine Antwort auf Michael Nast

Michael Nast hat ein neues Buch auf den Markt gebracht. Dieses verspricht „Lösungen“ für die von ihm geprägte „Generation beziehungsunfähig”. Wir haben da ein paar kritische Anmerkungen …

Was ich in der Hand habe und was nicht 

Wenn ich eine tiefe Verbindung eingehen möchte, dann muss ich mich so verhalten, dass dies möglich ist. Ich muss mich öffnen und zeigen, ich muss meinem Gegenüber die Gelegenheit geben, mich kennenzulernen. Ich muss mich verbindlich zeigen. Ich muss meine eigenen Bedürfnisse in  Beziehungen herausfinden und meinem Gegenüber die Chance geben, mir seine Bedürfnisse mitzuteilen. Ich muss lernen zu vertrauen und mich so verhalten, dass auch der andere mir vertrauen kann. Ich muss (mehr) Gefühle zeigen, denn ohne Gefühle gibt es keine Verbindung, sondern nur Beziehung. Ich muss zeitliche und andere Opfer bringen – positiver ausgedrückt: neue Prioritäten setzen. Ich muss Interesse zeigen und versuchen, die Perspektive meines Gegenübers einzunehmen. Ich muss ein Risiko eingehen und all das wagen, ohne zu wissen, ob es am Ende klappen wird.

Aber all das Vorgenannte habe ich in meiner Hand. Was ich nicht in meiner Hand habe, sind meine Gefühle, Gedanken, inklusive Zweifeln und Unsicherheitsgefühlen. Und natürlich das Verhalten meines Gegenübers. Aber ich kann eben auch mit meinen Ängsten, Zweifeln und Co. im Gepäck all das wagen und kleine Schritte in Richtung einer tiefen Verbindung gehen, eben gerade weil mir eine solche wirklich wichtig ist. Das kann dauern, es kann Rückschläge geben, das ist alles nicht immer leicht – aber so ist das Leben nun mal. Und wenn ich es nicht wage, werde werde ich niemals eine tiefe Verbindung eingehen. 

Viele Menschen denken, Liebe sei ein Gefühl und sonst nichts. Das stimmt aber nicht. Liebe ist auch ein stetes Tun. Liebe ist nicht etwas, das aus dem Nichts kommt und ebendort wieder verschwindet. Und ja, Liebe kann enttäuscht werden. Unser Gegenüber kann uns einen Strich durch die Rechnung machen. Aber darauf haben wir so oder so keinen Einfluss, gleich, ob wir „liebes-“ und „beziehungsfähig“ sind oder nicht. Liebe ist immer auch ein Wagnis. 

Beziehungsunfähigkeit ist ein problematisches Label, Michael Nast

Man kann wie Herr Nast stundenlang darüber schwadronieren, dass eigene „Verkorkstheit“ andere „verkorkste“ Menschen anzieht (ja, das belegen unzählige Studien und Nast bringt ja gerne auch eigene Beispiele). Und dass man selber erst „heil“ werden muss, damit man dann andere „heile“ Menschen trifft, mit denen plötzlich supergute Beziehungen möglich sind. Kann man machen. Aber letztlich ist das ein Umweg und vielleicht sogar teilweise eine Vermeidungsstrategie. Vermeidung, weil sie Betroffenen die Gelegenheit gibt, sich ein Label auf die Stirn zu kleben, mit dem sich leichter sagen lässt: „Das ist soooo schwer, ich hab‘s ja versucht, aber es soll wohl einfach nicht sein, ich bin halt so – beziehungsunfähig.“

Nasts eigene Lösungsstrategie scheint indessen ungefähr so auszusehen: Ich, Single, will (irgendwie doch) ein Wir, kriege das aber bisher nicht hin. Schlussfolgerung: Ich bin wohl verkorkst. Um das Wir doch noch zu erreichen, wende ich mich (noch stärker) meinem Ich zu. Dieses Ich wird dann repariert (von wem? wie?) und zieht schließlich wie ein Magnet „die Richtigen“ an. Dann (erst) bin ich glücklich. 

Klingt eigentlich ziemlich logisch. Das Problem mit dieser – wieder wesentlich ums eigene Ich kreisenden – Strategie ist aber Folgendes: Liebe, Bindung und Co. sind dyadische, dialogische Phänomene. Kleine Kinder könnten ohne ihre Eltern oder andere Bezugspersonen nicht lernen, sich selbst oder andere zu lieben. Liebe braucht ein Gegenüber. Und auch Bindung, wenn man Probleme mit ihr hat, lernt man in einer Bindung – nicht durch die Lektüre eines Buches. Die Lösung des „Problems“ ist also nicht der Gang zum Selbsthilferatgeber-Regal in der örtlichen Buchhandlung, sondern der bewusste Sprung ins kalte Wasser. Und dass dieser erfolgreich sein wird, kann niemand garantieren. Aber wenn man es nicht ausprobiert, wird man es niemals rausfinden. 


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