Ich bin dann mal weg: Über die Angst vor (emotionaler) Nähe

Konflikte wegen Angst vor Nähe: Hat nur eine Seite „Schuld“?

Ich glaube, dass die (werdende) Beziehung nicht am näheängstlichen Part gescheitert ist, sondern an der Inkompatibilität BEIDER Seiten. Haben zwei Menschen ein arg unterschiedliches Nähebedürfnis, werden sie es schwer miteinander haben, wird der eine, vielleicht bald schon, fliehen. Das liegt nun mal in der Konstellation begründet.

Das ist ein Gedanke, der wehtut und den wir nur ungern zulassen, weil es leichter und erleichternder ist, einen „Schuldigen“ benennen zu können, als zu bekennen: Es hat nicht sollen sein. Es passte nicht. Das klingt so trivial und traurig, dass man es kaum zu denken vermag. Stattdessen rauschen andere Gedanken durch unsere Gehirnwindungen: Warum bloß ist der andere nicht über seinen Schatten gesprungen, warum hat er es nicht versucht, ernsthaft versucht, statt zu fliehen und wegzulaufen, um die Angst zu beenden? Warum ist er/sie bloß so eine schrecklich schizoide Persönlichkeit, die beim leisen Geruch von Nestwärme gleich Herzrasen bekommt? Warum ist er/sie so feige und versucht, das Ganze still und heimlich auslaufen zu lassen, statt wenigstens offen Stellung zu beziehen? Beziehungsweise: Warum hat er/sie nicht schon früher mal seine gestörte Kindheit aufgearbeitet und ist zu einem mustergültigen beziehungsfähigen Menschen geworden? Warum – verdammt noch mal! – gibt es auf diese ganzen Warums keine befriedigende Antwort? Und warum ist das alles nicht einfach ganz leicht, das Miteinander von Mann und Frau?

Der andere wird sich nicht über Nacht grundlegend ändern

Vielleicht könnte man alternativ zur nach Pathologie klingenden „Angst vor Nähe“ auch von einer unterschiedlichen „Fähigkeit zur Nähe“ sprechen. Das klingt wertend. Oder von einem unterschiedlichen „Bedürfnis nach Nähe“. Das klingt entschuldigend. Wie man’s dreht und wendet und welche Ursachen (von denen hier nicht die Rede sein soll) und Verstärker man für das Schlamassel auch finden mag: Der andere wird sich nicht über Nacht grundlegend ändern. Und auch nicht in einer Woche oder in zwei Monaten. Unser individuelles Nähe-Bedürfnis ist viel zu eingefleischt, als dass es sich durch ein paar Gespräche (und Appelle) abändern ließe. Wir müssen damit zurechtkommen. Und wenn einer von beiden – in der Regel der näheängstliche Part – das nicht schafft, hilft meist auch die größte Verliebtheit nicht länger als eine viel zu kurze Zeit.


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