Die Angst vorm (fremden) Mann

Frauen erleben Angst. Tagtäglich. Warum wir uns fürchten und was wir dagegen tun können.

Fragt man Männer, wann sie das letzte Mal Angst hatten, müssen sie erst einmal überlegen. Irgendwann fällt ihnen vielleicht ein Ereignis in den letzten Jahren ein. Frauen kommen sofort etliche Momente in Erinnerung, die ihnen Angst machten. Am gleichen Tag.

Uns Frauen begleitet die Angst tagtäglich. Angst gehört zu unserem Leben. Und das ist erschreckend und schrecklich zugleich. Denn das Gefühl der Angst ist kein schönes Gefühl. Es lähmt und macht unfrei. Wir verhalten uns anders, wenn wir Angst haben, sind nicht wir selbst. Und das ist schlimm. Noch schlimmer ist es, dass wir uns daran gewöhnt haben, dass zum Frausein offenbar dazu gehört, in ständiger Begleitung einer Angst zu leben.

Jede Frau weiß, wie es ist, wenn sie im Dunkeln mit Herzrasen und verschwitzten Händen an einer Gruppe von Männern vorbeiläuft und hofft, dass sie nicht bemerkt wird. Oder wenn sie allein durch den Wald joggt und Schritte hinter sich hört, sich umdreht und feststellt, dass jemand näherkommt. Der erste Gedanke ist dann nicht: „Oh, der ist offenbar schneller als ich“, sondern „will der mir etwas antun?“ Wie erleichternd ist es dann, zu bemerken, dass man von einer Frau überholt wird. Keine Gefahr. Alles ist gut. Für dieses Gefühl opfern wir gern unseren Ehrgeiz.

Zu einem – im Ergebnis gruseligen – Gedankenexperiment hat die Influencerin Isabell Gerstenberger ihre Follower aufgerufen. Sie bat die Frauen, sich vorzustellen, was sie machen würden, wenn es 24 Stunden keine Männer gäbe. Ebenso bat sie ihre männlichen Follower sich vorzustellen, was sie täten, wenn es 24 Stunden keine Frauen gäbe.

Die Antworten könnten nicht unterschiedlicher sein. Während sich die Männer langweilten, auf ihre Frauen warteten oder sich mit ihren vergebenen Kumpels verabredeten, fühlten sich die Frauen von der Vorstellung wie befreit. Die meisten Frauen schrieben, sie könnten endlich nachts ohne Angst draußen sein. Diese Einschätzung ist erschreckend. Auch, weil sie deutlich macht, wie unterlegen wir Frauen uns den Männern noch immer fühlen. Trotz aller Debatten und jahrzehntelanger Kämpfe um Gleichberechtigung, haben wir Angst. Sich sicher zu fühlen, ist offenbar ein Privileg der Männer.

Warum Frauen Angst haben müssen – Die Realität

Es gibt Gefühle, die hat man einfach so. Für viele gibt es einen guten Grund. Und manchmal gibt es diesen nicht, jedenfalls nicht aktuell, sondern vielleicht nur einen kleinen Auslöser, der uns an etwas erinnert, das wir besser fürchten sollten. Bei unserer Angst verhält es sich so: Wir haben sie aus gutem Grunde, es gibt reale Fakten, die uns ängstigen, es gibt Auslöser, die uns daran erinnern, und es gibt das kollektive Gedächtnis der Frauen, das uns über Generationen hinweg die Angst in die Wiege legt.


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