Die Angst vorm (fremden) Mann

Frauen erleben Angst. Tagtäglich. Warum wir uns fürchten und was wir dagegen tun können.

Tatsache ist, dass es laut Statistik immer noch viel mehr sexuelle Gewalt gegen Frauen als gegen Männer gibt. Und das sowohl in der Partnerschaft als auch außerhalb dieser. Die beim Bundeskriminalamt erfassten Sexualstraftaten im Jahre 2019 sprechen eine deutliche Sprache. Von den 30.723 erfassten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (umfasst u.a. Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Nötigung und sexuelle Belästigung) waren in 92,4 Prozent der Fälle Frauen die Opfer (Tabelle T91- Opfer insgesamt nach Alter und Geschlecht). Dabei handelt es sich nur um die zur Anzeige gebrachten Straftaten. Die Dunkelziffer liegt, wie immer, viel höher. Müssen wir Frauen also Angst haben? Angesichts dieser Zahlen dürfte die Antwort nicht schwer fallen.

Natürlich werden auch Männer Opfer von Gewalt. In den Statistiken werden insgesamt mehr Männer als Frauen Opfer von Mord, Totschlag, Raub und Körperverletzung (Tabelle T91- Opfer insgesamt nach Alter und Geschlecht). Diese stehen allerdings oft im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten oder sonstigen Streitigkeiten und stehen nicht direkt und unmittelbar im Zusammenhang mit dem Geschlecht. Und genau da liegt das Problem. Wir haben Angst vor Angriffen auf unsere Person, auf uns als Frauen. Wir haben Angst vor Männern. Denn diese sind in 95 Prozent der sexuellen Gewalttaten die Täter (Tabelle T20 – Tatverdächtige insgesamt nach Alter und Geschlecht). Und wir fürchten nicht nur fremde Männer, sondern auch die eigenen. Denn die meisten sexuellen Übergriffe geschehen in der häuslichen Umgebung. 

Neben diesen Fakten aus der Gewaltstatistik ist auch die rein physische Unterlegenheit von Frauen ein Grund dafür, dass Frauen sich eher fürchten als Männer. Ihre Möglichkeiten, die Fäuste sprechen zu lassen sind einfach ungleich kleiner. “Bereits die physische Ausstattung disponiert die Frau für eine “basale” Ängstlichkeit … Die bescheidenere Muskelkraft, der geringere Testosteronspiegel, das kleinere Aggressionspotential lösen oft ein anhaltendes latentes Gefühl der Bedrohung aus“, so Psychologie-aktuell. Und genau dieses latente Bedrohungsgefühl macht uns unfrei.

Warum Frauen mehr Angst haben – Die Psychologie

Denn diese körperliche und faktische Realität hat Auswirkungen auf unsere Psyche. Selbst extrem fitte Frauen, die den meisten Männer locker davonlaufen bzw. ihnen zur Not auch körperlich wirklich zusetzten könnten, haben Angst. Allein die Tatsache, dass wir uns zu Selbstverteidigungskursen anmelden und das gute alte Pfefferspray in der Tasche haben, ist für unsere Ängste gefundenes Fressen. Denn eigentlich sollte es doch so sein, dass wir solche Selbstschutzmaßnahmen gar nicht bräuchten. Dass es sie gibt, bestätigt, dass wir gut daran täten, uns gegen die Gefahr zu wappnen.

Aber wann entsteht die Angst? Fürchten sich kleine Mädchen schon mehr als Jungen im selben Alter? Es sind viele Faktoren, die irgendwann im Laufe unseres Lebens unsere Gefühlslage bestimmen. Dazu gehört auch, dass Mädchen schon von ihren Müttern eher dazu angehalten werden, vorsichtig zu sein. Dass wir schon lange nicht mehr bereit sind, das für die Gefühle, Fürsorge und empfindliche Berührbarkeit allein zuständige Geschlecht zu sein, erlaubt uns sicher ein wenig mehr Freiheiten also noch vor Jahrzehnten.

Aber spätestens, wenn wir der Herkunftsfamilie entwachsen sind, später in Schwangerschaft und in Verantwortung für die Obhut unserer Kinder, kommt eine Verletzlichkeit und grundsätzliche Besorgnis in unser Leben, die uns nicht nur weniger unbeschwert, sondern auch belasteter macht. Und je mehr Angst wir erleben, desto eher werden wir auch in Zukunft ängstlich sein. Angst verstärkt Angst. Es ist ein Teufelskreis. Es verwundert kaum, dass dies auch krank machen kann. So leiden Frauen ungleich häufiger (etwa doppelt so viele) an Angsterkrankungen als Männer.


Weitere interessante Beiträge