Was geschieht, wenn man sich Liebe verdienen will

Liebe ist ein Geschenk. Liebe wächst nicht schneller, wenn man an ihr zerrt. Was passiert, wenn man nur die Liebe sucht, die man glaubt verdient zu haben? Ein mutiger und ehrlicher Blick zurück von Jonathan Bern 

Liebe macht blind. Klingt wie eine Floskel, aber was unsere Geschichte angeht, stimmte es leider. Als wir uns ineinander verliebten, haben wir alles ausgeblendet. Wir wollten nicht genau hinschauen, weil der Himmel uns ständig blau erschien und wir die kleinen Wolken am Horizont einfach ignoriert haben. Ich war von Anfang an ehrlich zu dir, erzählte von der hohen Scheidungsrate in meiner Familie, von der fehlenden Geborgenheit in meiner Kindheit, von meinen Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen. Vielleicht wolltest du damals einfach nicht genauer hinhören, um die Romantik unserer Begegnung nicht zu gefährden. Uns war zu dem Zeitpunkt nicht klar, dass wir Probleme nicht lösen können, indem wir sie unter den Teppich kehren.

Wir haben bewusst nicht genau hinschauen wollen

Im Nachhinein denke ich, dass du mich mit deiner Liebe „retten“ wolltest. Diese Intention war dir sicher nicht bewusst und du hattest auch so viel zu geben. Wir wollten beide diese Leichtigkeit genießen, nicht an morgen denken. Was zählte, waren die Augenblicke der Zärtlichkeit und der Lust. Unsere körperliche Leidenschaft erzeugte Glück und eine tiefe innere Zufriedenheit. Die Vertrautheit, die dadurch entstand, erschien uns stärker als jede kleine Auseinandersetzung. Du hast dir immer viel Mühe gegeben, damit es mir gut ging, auch wenn es dir nicht einfach erschien, mit meinem schwierigen Charakter umzugehen. Wir haben es nicht wirklich registriert, als sich der erste Stress ankündigte.

Als die Phase des Verliebtseins endete, hätten wir einige Warnzeichen wahrnehmen sollen. Ich bemerkte auch nicht schnell genug, dass sich mein Verhalten langsam veränderte. Wir mussten aus beruflichen Gründen zwei Jahre lang eine Fernbeziehung führen und irgendwann fand ich immer seltener Zeit, dich am Flughafen abzuholen. Du hast meistens Verständnis gezeigt und du gabst dir immer Mühe, die Harmonie nicht zu gefährden. Das Ungleichgewicht machte sich immer öfter bemerkbar, wir hatten die Gefahr nicht erkannt und ließen uns einfach treiben. Es mag sein, dass ich mich damals wie ein Egoist verhalten habe. Du hast die Flucht nach vorne ergriffen. Um mich nicht zu verlieren, hast du dich angepasst und deine eigenen Wünsche zurückgestellt. Du hast mich idealisiert, weil die Wirklichkeit dich enttäuscht hätte. Deine heile Welt hätte immer mehr Risse bekommen. Das konntest du nicht zulassen, also lieber die Augen schließen. Ich wusste bestens, wie man Konflikten aus dem Weg geht. Wir hatten unserer Liebe eine Falle gestellt.


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