unerhört: Streit – nur wegen Zigaretten

Unsere Leserin hat Stress mit ihrem Mann. Die beiden bauen gerade ihr Haus und vermeintliche Kleinigkeiten führen zur Eskalation. Was können die beiden dagegen unternehmen?

Antwort: Es geht ganz sicher nicht (nur) um Zigaretten

Ein Hausbau ist statistisch eindeutig eine gewaltige Belastung für viele Paare. Es geht um die Verwirklichung eines Traums unter teilweise großen Anstrengungen. Was Sie gerade erleben, ist nicht ungewöhnlich, allerdings ist es dadurch nicht weniger schmerzvoll.

Ihr Streit geht vermutlich nicht wirklich um Zigaretten, aber sie spielen durchaus eine Rolle, weil sie etwas mit Abhängigkeit zu tun haben. Jede Form von Sucht, auch die Nikotinsucht, greift in die Dynamik einer Beziehung ein. Warum? Weil in einer Abhängigkeitssituation der Konsument die Priorität der Besorgung von Nachschub vor alles andere legt. In diesem Fall waren – zumindest in diesem Moment – die Zigaretten wichtiger als Sie.

Warum hat Ihr Mann nun so heftig reagiert? Moderne Bindungsforschung geht davon aus, dass eine sichere Bindung der Wunsch eines jeden Menschen ist. Wir fragen uns permanent in einer Beziehung: Bist du für mich da? Bist du erreichbar für mich? Hörst du mich? Nimmst du mich wahr? Begehrst du mich?

Erleben wir den Eindruck, der Partner würde sich uns entziehen, uns aus seinem Leben ausschließen, bekommen wir Angst, vielleicht sogar Panik und dann reagieren wir mit einem – sehr überschaubaren – evolutionären Repertoire an Verhaltensweisen: Angriff, Flucht oder Schockstarre. Und zwar VOR einer Analyse von Fakten und Erfahrungen, instinktiv könnte man sagen.

Ihr Partner hat Sie in der Situation, in der er ganz dringend etwas benötigte, weil er danach eine Abhängigkeit verspürt, als nicht mehr erreichbar erlebt. Er bat um Bindung: “Sei für mich da, verlass mich nicht, steh zu mir!” Mit Ihrer – nachvollziehbaren – Konsequenz haben Sie ihm jedoch zu verstehen gegeben: Nein!

Ich will Ihren Partner nicht verteidigen, nur erklären, wie es zu seiner so überaus heftigen und abwertenden Reaktion kam. Letztlich hatte Ihr Partner in diesem Moment dieselbe Angst, die Sie verspüren: dass Sie kein Paar mehr und dass Sie nicht füreinander da sind. Sie haben hier mehr gemeinsam, als Sie denken.


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