unerhört: Ich liebe ihn, aber mein Kopf sagt mir, es ist falsch

Wir wollen heiraten, aber ich frage mich: Sind wir vielleicht zu unterschiedlich?

Antwort: Wahrscheinlich eint Sie mehr, als Sie trennt

Bevor ich konkret auf Ihre Frage eingehe, möchte ich Sie bitten, sich zu fragen, was geschehen ist, was Sie erlebt haben, was sich verändert hat, dass Sie Ihre Unterschiede im Moment als so groß und so belastend erleben. Meist geschieht dies aufgrund eines Anlasses, beispielsweise wegen einer Veränderung. Die kann von innen oder von außen auf die Beziehung einwirken. Sie schreiben, Sie sprechen über Hochzeit. Es ist nicht ungewöhnlich, vor einem solchen Schritt in Frage zu stellen, was man hat, die Realität zu vergleichen mit den Wünschen und Hoffnungen, die man mit sich trägt. Ihre Gedanken sind also durchaus gewöhnlich. Dass diese Gedanken Sie verunsichern, ebenso. Falls Sie entdecken, dass die einen konkreten Anlass hatten oder Reaktion auf eine Veränderung sind, verlieren Sie möglicherweise das Bedrohliche, das Sie derzeit verspüren.

Sie finden sehr liebevolle Worte für Ihren Partner und das lässt mich darauf schließen, dass Sie als Paar viel mehr eint, als Sie trennt. Kein Paar tickt in allen Bereichen gleich. Das ist auch gut so. Wenn Sie sich vorstellen, jedes Paar hätte einen Werkzeugkasten mit Stärken und Schwächen, die es verwenden kann, wenn es auf Veränderungen reagieren muss, (die eben unausweichlich sind im Leben, weil das nun mal keinen Status Quo kennt), dann würden gleiche Partner von jedem Werkzeug zwei besitzen. Das kann ausreichen, aber breiter aufgestellt wären sie, würden sie sich unterscheiden in Ihren Schwächen und Stärken und hätten somit gemeinsam viel mehr Werkzeuge zur Verfügung.

Mit diesem Bild werden Unterschiede leicht zu Ergänzungen. Zugegeben, die fühlen sich nicht in jeder Situation als solche an, weil Ähnlichkeiten uns zunächst Geborgenheit geben. Sie schreiben, Sie lieben ihn sehr und wünschen sich eine gemeinsame Zukunft.

Das zeigt mir, dass in Ihrer Gefühlswelt die Dankbarkeit füreinander überwiegt und das ist der Punkt, an dem Sie ansetzen können.

Dankbarkeit erzeugt Respekt und Wertschätzung, fehlt die, beginnt Abwertung. Um nicht an diesen Punkt zu gelangen, könnten Sie dieses positive Gefühl verstärken. Eine Übung aus der Paarberatung ist, dass beide Partner beginnen, täglich – nur für sich – aufzuschreiben, wofür sie an diesem Tag dem Partner dankbar waren. Wenn Sie dies situativ machen, werden Sie sich auch nie wiederholen. Meist bereits nach kurzer Zeit stellt sich eine größere Achtsamkeit füreinander ein, die dazu führt, viel stärker die schönen Aspekte der Beziehung zu erleben als die weniger schönen.

Denn auch wenn Ihnen seine Verhaltensweisen oder seine Glaubenssätze manchmal fremd sind: Die sind genauso legitim wie die Ihren. Er muss sich genauso wenig verändern wie Sie, wenn Sie oder er das nicht selbst möchten. Das klingt wahrscheinlich in Ihren Augen nicht nach Beziehungskompetenz, doch er hat wie Sie das Recht auf seine Launen, Verhaltensweisen und Stimmungen. Kompromisse in solchen Situationen lassen oft beide Partner unbefriedigt zurück, denn sie haben nicht wirklich bekommen, was sie sich wünschten. Bei solchen Konflikten kann die Idee der Tauschgeschäfte helfen. Wenn ich weiß, ich bekomme das, was ich möchte, wenn ich nur dies oder das mache, ist das immer eine größere Motivation als die Aussicht auf “sich irgendwo in der Mitte treffen”. Vielleicht versuchen Sie es mit diesem Gedanken, wenn Sie das nächste Mal um einen Mittelweg ringen.

Dazu gehört natürlich, dass wirklich beide Partner sich ein Stück weit aus Ihrer Komfortzone hinausbewegen. Doch wenn Sie dies machen mit dem Bewusstsein, dass Sie dafür etwas zurückerhalten, was Sie sich wünschen, fällt das leichter und führt zu tatsächlichen Veränderungen. Jede Beziehung braucht eine Mischung aus Neuem und Bewährtem. Das Neue birgt immer die Chance, dass Sie etwas finden, für das Sie gemeinsam brennen. Gemeinsam neue Erfahrungen zu machen, hat einen positiven Effekt auf die Paar-Dynamik. Der ist deutlich größer, als wenn ein Partner das Vertraute macht und der andere ihm zuliebe dabei ist. Sie bekommen ihn nicht vom Sofa, wenn er vermutet, er soll etwas tun, worauf er keine Lust hat. Er bekommt Sie nicht zu einer Kneipentour, weil Sie daran nun gar nichts finden können. Es braucht also Kreativität, Alternativen zu finden. Diese Bereitschaft lässt sich nicht erzwingen, durch gegenseitige Wertschätzung und Dankbarkeit für den Partner ist das aber gar nicht so schwer. Wenn Sie damit einmal beginnen.

unerhörtehrlich

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