Kann Liebe blind sein? Ein Interview mit Diplom-Psychologin Lisa Fischbach

Was braucht es denn, um sich zu verlieben?

Um sich zu verlieben, braucht es emotionale oder körperliche Anziehungskraft, dieses besondere Kribbeln. Wir verlieben uns nicht, weil biochemische Prozesse im Gehirn ablaufen. Die laufen ab, weil wir uns verliebt haben. So ist auch für den rosaroten Liebesrausch, entgegen der weitläufigen Vermutung, nicht das Herz, sondern das limbische System verantwortlich. Verlieben ist ein hoch komplexer Prozess, vieles ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. So gerne wir das Schicksal in die Hand nehmen würden und uns bewusst verlieben wollten, es geht nicht, ohne sich selbst etwas vorzumachen. Wir müssen hinnehmen, dass sich Verlieben unserer Kontrolle entzieht. Strategisch und systematisch können wir das Verlieben nicht angehen.

Welche Vorteile bietet denn ein Kennenlernen ohne visuelle Eindrücke?

Unser Blick ist nicht gleich durch die Optik „verstellt“. Der Trichter, was man zulässt und auf sich wirken lässt, ist zunächst breiter und toleranter. Das blitzartige Empfinden von körperlicher Attraktivität stellt nämlich entscheidende Weichen, die meist nicht mehr revidiert werden. Wir nehmen anschließend selektiv wahr und suchen nach Gemeinsamkeiten, um den ersten Eindruck zu bestätigen. Das verstärkt das Gefühl der Sympathie. Ohne durch das Aussehen beeinflusst werden zu können, entsteht Attraktivität dagegen durch körperliche Merkmale wie die Stimme, aber auch wesentlich durch Persönlichkeitseigenschaften wie Charakter, Intellekt, Charisma, Humor, Werte und soziale Stellung.

Dating-Formate der letzten Jahre setzten vermehrt auf Optik. Die Kandidatinnen und Kandidaten waren oft attraktive Fitness-Trainer, Models oder Schauspieler. Jetzt wird das Interesse an Dating-Shows größer, in denen die Persönlichkeit der Singles im Vordergrund steht. Erkennen Sie hier eine gesellschaftliche Trendwende weg von der Wisch-und-Weg-Mentalität vieler Dating-Apps? 

Das wäre wünschenswert. Vermutlich ist die neue Ausrichtung der Formate aber mehr eine Suche nach noch nicht Gesehenem oder Spektakulärem. Der Zuschauer ist fasziniert von der Idee, inwieweit man sich tatsächlich ungesehen verlieben kann. Die Erfahrungen der meisten ist schließlich, dass die Partnerwahl stark durch das Aussehen beeinflusst wird. In einer Gesellschaft, die eng verzahnt ist mit Schönheitsidealen, Schlankheits- und Jungendwahn wächst die Sehnsucht, für seiner selbst geliebt zu werden. Je mehr die Schraube in Richtung Perfektion und Oberflächlichkeit gedreht wird, desto mehr wächst eine Gegenbewegung, die sich vom Diktat der Äußerlichkeiten befreien will und nach inneren Werten, Nachhaltigkeit und echter Liebe strebt.


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