Wenn aus einem Märchen ein Albtraum wird

Endlich ein Mann, der sich bemühte

Im Nachhinein war klar, dass Anne sich von Anfang an in dieser Beziehung in der schwächeren Position befand. Dass sich Bernd um alles kümmerte nahm sie als Zeichen seiner Verbindlichkeit. Endlich ein Mann, der sich bemühte. Sie ließ ihn machen, warum auch nicht, er konnte das – wie er sagte – sowieso besser. An diese Aussage erinnerte sie sich allerdings erst später, als bereits aus der Idylle ein Albtraum geworden war. Anne war vor ihrer Beziehung eine selbstständige Frau gewesen. Irgendwann aber hatte sich das gedreht. Sie kaufte nicht einmal im Supermarkt ein, ohne vorher alle Details mit Bernd abzusprechen. Damit sie „nichts vergessen würde“. Als sie irgendwann versuchte, aus dem Korsett der Fürsorge vorsichtig auszubrechen und eigene Entscheidungen traf, reagierte Bernd beleidigt. Er hatte so viel investiert, sich so viel Mühe gegeben – und nun? Er fühlte sich undankbar behandelt, missverstanden und begann in der einzigen Weise, die er kannte, seine Dominanz in der Beziehung zu bewahren: Er riss nun alle Zügel an sich, überließ Anne keine Entscheidungen mehr – um ihr zu beweisen, dass er das alles bestens für sie erledigen konnte. Vor Freunden begründete er das damit, dass sie das nicht schaffe, weil sie ja „so sensibel und verletzlich sei.“ Nicht nur einmal rutschte ihm heraus: „Du kannst das nicht!“ Wer solche Sätze oft genug von der geliebten Person hört, der verinnerlicht das und glaubt es am Ende selbst. Anne wurde immer unsicherer, machte dadurch noch mehr Fehler, was sie und ihn nur noch in ihrer Dynamik bestätigten. Sie verlor den Kontakt zu den meisten Freundinnen, weil die alle „nur schlechten Einfluss“ auf sie nahmen, wie Bernd meinte. In Wahrheit festigte er damit nur seine Position als ihr einziger Lebensmittelpunkt.


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