Liebe in den Zeiten von Corona: Streit, wo es nie zuvor Streit gab

„Ich weiß nicht, ob wir uns hier so in die Haare kriegen, weil wir den ganzen Tag zu Hause sind. Ich würde das eher verneinen. Aber ich frage mich wirklich, warum wir uns derart streiten“ sagt Verena bekümmert. „Es ist nichts Grundsätzliches, es ist nichts, was hochkommt, weil wir es verdrängt haben, ich bin sicher. Es ist etwas Neues, etwas, das noch nie in unserem Leben eine Rolle gespielt hat, sowie in dem Leben der meisten Menschen nicht, nämlich dass eine Pandemie unseren Alltag verändert hat, ihn sogar bestimmt. Es ist klar, dass man darauf nicht vorbereitet ist, wie eine Seuche die Liebe beeinflussen kann, wie sie das Miteinander durcheinanderbringt.

Mir macht all das jedenfalls Angst, Corona macht mir Angst. Und ich bin sehr traurig, ich will, dass alles wieder so ist, wie es war. Ich möchte gesund bleiben, und ich möchte, dass Ben und alle Menschen, die ich liebe, gesund bleiben. Aus diesem Grund halte ich mich an die Regeln, die uns von Seiten der Politik aus verordnet werden. Das ist auch für mich schlimm, dass ich meine Kontakte darauf beschränke, mit Ben zusammen zu sein und in den Supermarkt zu gehen. Ich bin am Limit. Und nun kommt dieser Streit mit Ben dazu, fast jeden Tag zanken wir. Dabei brauche ich gerade jetzt besonders viel Harmonie. Was ich extrem merkwürdig finde: Ben und ich hatten immer ein sehr ähnliches Verhältnis zu Krankheiten, wir sind beide wahrlich keine Hypochonder, ganz im Gegenteil. Aber darum geht es jetzt nicht, es geht nicht um eingebildete Krankheiten, es geht nicht darum, ob einer ein Tamtam um einen harmlosen Schnupfen macht, was Ben und mir nie passiert wäre. Wir glauben fest an unsere Gesundheit und haben uns insgeheim oft darüber lustig gemacht, wie verrückt die Leute sind, was ihre Gesundheit angeht. Ständig entdecken sie an sich Symptome, rennen zum Arzt, jammern, werden schon krank, wenn jemand in ihrer Umgebung niest. Das war gestern. Aber heute geht es ums Eingemachte. Es geht um eine unfassbare Bedrohung unserer Gesundheit. Da draußen ist ein Virus, der einem den Tod bringen kann. Und der Virus kann durch Kontakte von außen nach innen gelangen und mich packen. Oder Ben. Das ist real. Ich bin 48, ich möchte leben. Mein Leben war schön, es soll schön bleiben, ich spreche hier von meinem Leben mit Ben. Er riskiert unsere Unversehrtheit.“

Ben weiß nicht, was Verena von ihm will, er nimmt Corona sehr ernst, findet er

Ben kann mit Verenas Haltung und Kritik wenig anfangen, auch er sieht die Gefahr, die jedem Menschen droht, aber das sei kein Grund, sich seine eigene Meinung abzugewöhnen, sich selbst ein Bild zu machen von den Dingen. „Ich nehme das alles sehr ernst“, sagt er. „Aber ich gehe davon aus, dass man, gerade weil viele Menschen den Schuss immer noch nicht gehört haben und zu fünft auf einer Parkbank gedrängelt den Frühling genießen, dicht an dicht im Café sitzen oder irgendwo in einer Gruppe grillen, die Vorschriften enger fasst, damit jeder Idiot sie versteht. Zu dieser Spezies „Idioten“ gehöre ich nicht. Ich trage Verantwortung. Doch ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Politiker extra strenge Regeln aufstellen, damit jeder Depp begreift: Hier hängt der Hammer. Ich behalte mir vor, zu Hause ab und zu Besuch zu empfangen, das von engen Freunden, von denen ich weiß, dass sie ebenfalls keine Idioten sind, dass sie Familie haben, dass sie diese schützen wollen und sich selbst, dass sie von zu Hause aus arbeiten und die Kontakte von daher minimiert sind. Warum sollen die nicht mal an einem Samstag in unserem Wohnzimmer sitzen? Ich muss auch nicht mit ihnen auf einem Sofa hocken, ich kann den Sessel nehmen und Abstand halten. Genauso kann ich es handhaben, wenn ich meine Eltern besuche. Abgesehen davon halte ich mich an alle Hygiene-Gebote. Ich empfinde Verenas Sorgen und ihre Lebensführung gerade als echt hysterisch.“

Für Verena ist jeder außer Ben der potentielle todbringende Feind

Diese Sicht, dass der Kontakt mit einzelnen Personen, denen man vertraut, zulässig ist, bringt Verena auf die Palme. „Nur weil man jemanden mag, schützt das nicht vor Ansteckung. Jeder Mensch bringt eine Multiplizierung der Kontakte mit sich. Der Freund geht durch das Treppenhaus, begegnet dort Nachbarn, einen, den es erwischt hat, der hustet, das kriegt man ab bei der Enge eines Treppenhauses. Schon ist man infiziert. Der Freund hat eine Tochter, die begegnet wiederum Menschen, auch die Ehefrau begegnet Menschen.  Aus diesen wenigen Kontakten ergibt sich dann am Ende doch eine Vielzahl von Kontakten, die zu einer Ansteckung führen können. Für mich geht als Kontakt nur: Ben und die Frau an der Kasse im Supermarkt. Ich bin nicht hysterisch, Ben ist irrrational. Und er ist leichtsinnig, was mich und ihn angeht. Dass er mich als hysterisch bezeichnet, das kränkt mich sehr. Das ist eine typisch blöde Kritik von Männern. Wenn sie etwas nicht verstehen, was eine Frau ihnen mit Nachdruck erklärt, dann ist sie gleich hysterisch. Männer geben nicht gern zu, dass sie etwas nicht verstehen, Ben war anders. Das ist neu an Ben, dass er sich auf dieses flache Niveau begibt.“


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