Keine Lügen, keine Ketten – Freiraum in Beziehungen

Schluss mit Kontrolle und Eifersucht! Mehr geben und nicht wegnehmen. Taugen offene Beziehungen als Blaupause für neue Beziehungsmodelle? Ein Leserbeitrag von Jonathan Bern

Kann die „Generation beziehungsunfähig“ – falls sie außerhalb der Marketing-Strategien existieren sollte – etwas von offenen Beziehungen lernen? Alle traditionellen Beziehungsmodelle haben mehr oder weniger ausgedient, also muss jeder sich in dieser Welt der Grautöne zurecht finden und sich erstmal auf die Suche begeben. Eine Reise antreten und den Mut haben ein One-Way-Ticket zu kaufen. Sich nicht immer absichern wollen, weil die Angst vor Leid und Einsamkeit nur lähmend ist. 

Das Fundament einer glücklichen Partnerschaft ist Vertrauen. Aber wir lügen uns oft gegenseitig an, um den anderen nicht zu verletzen, weil wir vermuten, dass er mit der Wahrheit nicht klar kommen würde. Weil wir Konflikten manchmal lieber aus dem Weg gehen. Weil die Bequemlichkeit uns schon zu lange im Leben begleitet.

Und irgendwann landen wir wieder in einer Sackgasse. Wir wissen sehr genau, dass dieser Streit wieder mal zu nichts führen wird, dass es nur darum geht, unser Ego ein wenig zu schonen – ohne Rücksicht auf Verluste. Vielleicht wäre es an der Zeit, eine andere Brille aufzusetzen es könnte sein, dass man sein Gegenüber plötzlich etwas schärfer sieht. So wie er in der Realität ist und nicht so, wie wir ihn in unserer Phantasie erschaffen möchten. 

Nicht wegnehmen, sondern mehr geben

Nehmen wir ein simples Beispiel: man empfindet Liebesgefühle für mehr als nur einen Menschen gleichzeitig und weiß nicht genau, wie man es handhaben sollte. Notlügen helfen nur kurzfristig und Verdrängen macht auf Dauer unglücklich. Wir stellen uns einer neuen Herausforderung und müssen die Werte, die uns in der Zweierbeziehung so wichtig sind, neu definieren, z.B. Vertrauen, Freiraum, Vertrautheit – und was jeder einzelne unter Liebe versteht. Um unsere Beziehung neu zu erfinden, wäre es eine Überlegung wert, von einem anderen Modell etwas zu lernen – und uns weiterzuentwickeln.

Wir könnten versuchen, uns von dem Gefühl der Abhängigkeit von einem Menschen zu befreien. „The one and only“ als eine Utopie zu betrachten und aus der Erfahrung ein wenig zu lernen, irgendwann zu akzeptieren, dass der perfekte Partner nicht existiert und wir aufhören sollten, ewig danach zu suchen.

Keinem was wegnehmen, sondern versuchen noch mehr zu schenken, sich glücklich machen, indem man mehr als einen Partner glücklich macht. Man geht ein gewisses Risiko ein, wenn man sich von einer gesellschaftlichen Norm verabschiedet, doch damit erhöht sich die Chance, sich freier und zufriedener zu fühlen.


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