Wenn die Liebe Fahrerflucht begeht

Wenn ich weiß, was in mir passiert und was welche Emotionen auslöst, kann ich langsam damit beginnen, mich in meinen Partner hineinzufühlen. Einen Menschen verbeult zurückzulassen, ist eben nicht die feine englische Art. „Hier eine Delle, da ein Lackschaden, die Scheibenwischer sind auch nicht mehr die gründlichsten“, lautet meine persönliche Diagnose. Verdammt, doch kein Sportwagen. Ich bin eher ein Polo, etwas in die Jahre gekommen und mit zu hohem Spritverbrauch. Gottseidank hat meine psychotherapeutische Werkstatt noch Hoffnung und den Totalschaden erstmal ausgeschlossen. „Da müsste mal einer mit etwas Liebe den Lack ausbessern und vielleicht ab und zu den Staub vom Dach wischen“, steht als Handlungsempfehlung unter meiner Rechnung. Meine Suche nach einem guten Mechaniker, der sich auch mit meinem Modell auskennt, scheint jedoch aussichtslos. Der eine lackiert mich in einer Farbe, die ich grässlich finde, der andere hätte lieber ein Cabrio und zerrt ständig an meinem Dach herum.

Nicht perfekt, aber meins

Traurig fahre ich die Straßen auf und ab, bewundere die Sportwagen, die an mir vorbeirasen. Plötzlich entdecke ich einen kleinen Golf neben mir. Ihm wurde der Seitenspiegel abgefahren. Ich halte an, montiere meinen Seitenspiegel ab, und bringe ihn vorsichtig an das Unfallopfer an. „Du hast ihn nötiger als ich“, brumme ich und freue mich über meine selbstlose Tat. Während ich den Gang einlege, um meine Fahrt fortzusetzen, hupt es neben mir. „Hey, du süßer Polo, parke doch neben mir. Fahr mit deiner spiegellosen Seite einfach ganz nah an mich heran, dann fällt das nicht mehr auf.“ Gesagt, getan. Und so standen wir dort, Spiegel an Seitenscheibe. Die Sportwagen zogen an uns vorbei, aber interessierten uns nicht mehr. Er war zwar nicht perfekt, aber  wir gehörten von nun an zusammen.

Stellt euch vor, ich würde nun das große, dicke Märchenbuch schließen. Ende gut alles gut, Happy End. Und die Moral von der Geschichte? Wir müssen erst lernen, zu geben und zu lieben, bevor wir erwarten können, dass wir dafür etwas zurückbekommen. Wir können zwar der Sportwagen sein, der besser als alle anderen durch die Straßen zieht, aber vielleicht wären wir viel glücklicher als kleiner verbeulter Polo, der zwar nicht perfekt, aber liebenswert ist.


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