Warum du dich ständig selbst belügst

Abwehrmechanismen sorgen dafür, dass wir uns nicht zu viel Stress zumuten. Allerdings auf Kosten der Ehrlichkeit. Das führt beispielsweise dazu, dass uns an anderen so sehr stört, was uns eigentlich selbst betrifft. Ein Ausflug in unsere unbewussten Schutzstrategien.

Wie laufen Abwehrmechanismen ab?

Wenn Abwehrmechanismen bewusst ablaufen würden, dann würden sie ihren Job nicht gut machen. Denn dann würden sie uns den Stress, den sie abwehren sollen, ja doch weiterreichen. Sie müssen also gründlich dabei sein, ihre Spuren zu verwischen, weil sie sonst nicht wirkungsvoll wären. Gleichzeitig ist ein Bewusstmachen von solchen Abwehrstrategien eine Notwendigkeit, wenn psychische Störungen entstehen. Abwehrmechanismen sind in erster Linie also Schutzmechanismen, die dem eigenen Überleben dienen. In der Therapie werden sie als Ressourcen des Ichs genutzt. Und im Alltag dazu, dass wir uns so gründlich selbst belügen, dass wir fast immer darauf erst von anderen hingewiesen werden müssen. 

Beispielweise das Thema Treue. Der Abwehrmechanismus Projektion zeigt einen Inneren Konflikt zwischen dem Wunsch nach Sicherheit auf der einen und dem Bedürfnis nach Exploration von Neuem auf der anderen Seite. Durch den Abwehrmechanismus wird der Konflikt aber nicht als solcher erkannt, denn er soll ja schließlich den inneren Konflikt abwehren. Das führt dann dazu, dass die „verbotenen“ Triebe oder Wünsche, die jemand in sich selbst trägt, in einer anderen Person wiedererkannt werden, um sie dort verurteilen zu können. Beispiel: Wer einen unterdrückten Wunsch hat, seine*n Partner*in zu verlassen, wird sich immer wieder in Wertediskussionen anderer Menschen einlassen und diese erbittert verurteilen, weil sie ihre*n Partner*n verlassen haben. 

Das funktioniert aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen in einer Beziehung. Nämlich wenn uns genau das am Partner am meisten stört, was insgeheim wir auch bei uns ablehnen: Rücksichtsloses oder egoistisches Verhalten beispielsweise. Vorteil: wir haben für uns eine Begründung, warum wir nicht rücksichtslos sind oder besser gesagt, warum wir es uns nicht erlauben, rücksichtslos zu sein. Nachteil: Gnade dem, der den Anschein weckt, er sei rücksichtlos, weil wir uns dann an ihm emotional abarbeiten können. Wer genau hinsieht, wird gerade diesen Abwehrmechanismus im Alltag, im Beziehungsleben und vor allem in Kommentarspalten begegnen.

Der Umgang mit Konflikten

Nach der Psychoanalytikerin Anna Freud gibt es innere und äußere Konflikte. Die äußeren sind jene mit der sozialen Umwelt. Die inneren sind jene der Grundbedürfnisse: Verbindung und Alleinsein, Verschmelzung und Freiraum, Anpassung und Selbstbestimmung, Sicherheit und Exploration – alle diese widersprüchlichen Bedürfnisse, die Menschen eben aushalten können oder nicht. 

Abwehrmechanismen sind Ressourcen und gut. Sie sorgen aber auch sehr wirkungsvoll dazu, dass wir uns gründlich selbst belügen. Deshalb ist die Frage durchaus sinnvoll, wenn die Emotionen hochkommen, weil irgendwer oder Partnerin oder Partner etwas getan haben, was wir für unglaublich unpassend, unmoralisch oder böse halten: 

  • Was hat das mit mir zu tun? 
  • Woher kommt das Gefühl? 
  • Was will es mir sagen? 

Sind Abwehrmechanismen also etwas Gutes oder etwas Schlechtes?

Sie können beides sein. Gelungene Abwehrmechanismen sind beispielsweise Humor oder Sublimation (da wird ein nicht akzeptabler Triebwunsch in eine akzeptable Aktivität umgesetzt, beispielsweise statt Autoaggression sportliches Auspowern oder statt körperlicher Gewalt eine verbale Auseinandersetzung.) Deshalb sollte man sich immer wieder mal fragen: Werte ich jemanden oder etwas ab, weil ich das insgeheim befürchte, ebenfalls so zu machen und meine Argumente sind letztlich nur jene, die ich mir selbst die ganze Zeit gebe?


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