Schlampen mit Moral – ein Buchauszug

Je mehr wir über Sex lernen, desto weniger wissen wir, wie wir ihn definieren sollen. Wir finden: Sex ist Teil von allem.

Wir schreiben gerade über Sex, und Sie lesen, was wir dazu zu sagen haben. Sie haben Sex mit uns! War es gut für Sie? Für uns ja. So manches lange, tiefschürfende intime Gespräch, das wir geführt haben, fühlte sich eindeutig sexuell an. Und umgekehrt hatten wir auch schon Sex, der sich nicht besonders sexuell anfühlte. Unsere beste Definition lautet daher: Sex ist, was die Beteiligten dafür halten. Für den einen ist es Sex, wenn er einem anderen den Hintern versohlt. Für jemand anderen ist es Sex, wenn er Strapse trägt. Und wenn es sich für Sie sexuell anfühlt, wenn Sie mit jemandem zusammen Eis essen, dann ist das Sex – für Sie. Das mag jetzt dämlich klingen, aber dieses Konzept wird uns später noch nützlich sein, im Kapitel über Verhandlungen.

Verleugnung oder Erfüllung?

Dossies Bachelorarbeit hatte den Titel: Sex ist schön und Genuss tut gut. Diese These ist auch im 21. Jahrhundert noch so radikal, wie sie es in den 1970ern war. Unsere Kultur legt hohen Wert auf Selbstverleugnung. Und im Arbeitsleben ist sie auch tatsächlich sehr nützlich. Aber warum gelten Menschen, die in ihrer Freizeit unverschämt ihren Bedürfnissen nachgehen, als unreif, abstoßend oder sündig? Da jedermann Bedürfnisse hat, führen puritanische Werte unweigerlich zu Selbsthass, Hass auf den eigenen Körper und das, was uns anmacht. Wir lernen, unsere sexuellen Wünsche zu fürchten und uns für sie zu schämen. Wer sich umsieht, sieht die Opfer überall: Menschen, die sich vor ihrer eigenen Sexualität fürchten, die sich für sie schämen, die sie hassen. Wir glauben, dass sich diese Wunden mit fröhlichem, freiem Sex ohne Schuldgefühle heilen lassen. Wir glauben, dass Sexualität entscheidend zum Selbstwertgefühl von Menschen beiträgt, zum Gefühl, dass das Leben schön ist. Noch nie ist uns jemand begegnet, der im Augenblick des Orgasmus an sich zweifelte.

Man braucht keinen Grund

Sprechen Sie irgendeinen Passanten an und sagen Sie, dass Sex schön ist und Genuss guttut. Vermutlich werden Sie Stottern ernten, Widerspruch, Einwände: Was ist mit sexuell übertragbaren Krankheiten, ungewollten Schwangerschaften, Vergewaltigung, käuflichem Sex? Doch was ändert all das denn an der grundsätzlichen Wahrheit? Noch die tollsten Dinge auf dieser Welt lassen sich missbrauchen, wenn man nur entschlossen genug ist: In Familien geschehen auch schreckliche Dinge, sexuelles Begehren kann manipuliert werden, selbst Schokolade lässt sich missbrauchen. Doch die Tatsache, dass etwas Gutes auch missbraucht werden kann, ändert nichts daran, dass es wunderbar ist. Die Gefahr geht vom Missbrauchenden aus, nicht von der Natur der Sache. Denn wie würde die Welt über Sex denken, wenn es keine sexuell übertragbaren Krankheiten und keine ungewollten Schwangerschaften gäbe, wenn Sex jederzeit einvernehmlich und angenehm wäre? Wie würden Sie darüber denken? Wenn Sie tief in sich blicken, finden Sie vielleicht Restspuren von Lustfeindlichkeit, die sich in wertenden Ausdrücken wie »promisk«, »hedonistisch«, »dekadent« und »nutzlos« äußern. Viele Menschen, die sich als lustfreundlich und sexuell befreit betrachten, gehen in eine andere Falle, indem sie versuchen, Sex zu rechtfertigen.


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