Liebst du mich noch, wenn ich krank werde und Pflege benötige?

Die meisten Menschen wünschen sich Liebesglück bis ins hohe Alter. Die Wirklichkeit sieht aber so aus, dass hohes Alter ein zäher, langsamer und schmerzhafter Abschied werden kann. Verstehen Sie, wenn ich sage, älter werden macht mir Angst, obwohl ich seit 15 Jahren nicht mehr alleine lebe und verheiratet bin?

Oh ja, das verstehe ich sehr gut. Angst wird immer gern verteufelt, dabei ist sie ein durchaus nützliches Gefühl, wenn man damit kreativ und produktiv umgeht. Angst ist menschlich. Das Verrückte ist, dass die Angst, wenn man sie einfach mit ins Boot nimmt, kleiner wird und manchmal auch verschwindet. Haben Sie also ruhig Angst und werden Sie trotzdem gut und mit Liebe und in Liebe älter.

Was Liebe ist, darüber streiten Partner dann, wenn sich einer weniger geliebt oder sogar betrogen fühlt. Spürt man Liebe vor allem dann, wenn sie zu entgleiten droht?

Es ist eine Art anthropologische Grundkonstante, dass man sein Glück besonders intensiv fühlt, wenn sich das Leben verändert, wenn man fürchtet, das Glück schleicht sich aus dem Haus. Das gilt besonders für die Liebe. Die Sorge allerdings, dass die Liebe zu entgleiten droht, wenn einer der Liebenden schwer krank wird, kann ich entkräften. Das ist ein Gespenst, das in der Vorstellung herumgeistert und im wahren Leben schnell verschwindet. Ich habe viele Menschen getroffen und gesprochen, deren Liebe sich verändert hat durch die Krankheit, aber entglitten ist sie nicht. Meistens ist sie sogar noch größer geworden.

Das klingt unglaublich brutal, aber letztlich ist das doch die Frage: Kann es noch eine Liebesbeziehung sein, wenn ein Partner dem anderen die Windeln wechselt?

Aber ja! Es gibt ja nicht nur die „eine“ Liebe, es gibt verschiedene Formen der Liebe. Windeln wechseln, es dem anderen leicht machen, für sein Wohl sorgen, lieb sein, das ist Fürsorge. Die Fürsorge ist eine wunderbare Ausdrucksform von Liebe, von Hingabe, ein Liebesdienst, der einen erfüllen kann.

Sie beschreiben Situationen, in denen Menschen zerbrechen oder über sich hinauswachsen können. Ist derjenige, der zerbricht, ein schlechter Mensch? Kann man von sich selbst – anderen steht das Urteil meiner Meinung nach nicht zu – erwarten oder verlangen, alles aufzugeben für den Partner? Den Beruf, die Freunde, das frühere Leben – um nur um zu pflegen?

Ich würde jedem empfehlen, sich auf diese Herausforderung einzulassen und mich zugleich dabei jeder moralischen Verurteilung enthalten, wenn es jemand nicht macht. In der Tat, das geht nur die Liebenden etwas an, wie sie mit der Herausforderung der Pflegebedürftigkeit umgehen. Nimmt jemand jedoch diese Aufgabe an, dann braucht er Unterstützung von außen, das ist eine wichtige Aussage in meinem Buch. „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein liebend Paar“, das gilt nicht, wenn ein Mensch einen anderen pflegt, da muss die Hütte größer sein, da muss Hilfe in die Hütte, von den Angehörigen, von der Gesellschaft, von der Politik.


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