Hochsensibel – oder einfach nur neurotisch?

Manche Menschen sind tatsächlich lichtempfindlicher als andere, reagieren empfindsamer auf Berührungen, spüren Dinge, die anderen verschlossen bleiben – manche retten sich mit einer „Scheindiagnose“ in die Rolle des „Besonderen“. Darum fragen wir, wie der Prinz im gleichnamigen Märchen: Gibt es sie wirklich, die Prinzessin auf der Erbse?

Trotzdem können Betroffene leiden

Ungeachtet dessen, dass es Hochsensibilität als einheitliches wissenschaftliches Konstrukt bisher nicht gibt, können Betroffene unter ihrer Überempfindlichkeit leiden. Der Einkauf im Supermarkt oder die Feier bei Freunden kann leicht zur Reizüberflutung führen und eine Pause und die Möglichkeit des Rückzugs sollte sich jeder hochsensible Mensch für die eigene Selbstfürsorge einräumen. Oft hilft es schon, den Tagesplan etwas abzuspecken und für einen geeigneten Stressabbau zu sorgen. Auf sich selbst achten und die eigenen Grenzen ernst nehmen sind hier wohl die richtigen Stichworte.

Es wird beschrieben, dass Hochsensible eher psychische Erkrankungen, wie Depression, Angststörungen oder somatoforme Störungen entwickeln als nicht hochsensible Menschen. Diese Erkrankungen bedürfen dann natürlich einer geeigneten psychotherapeutischen Intervention oder auch medikamentösen Therapie. Da gerade in der medialen Berichterstattung Begrifflichkeiten und Phänomene nicht selten durcheinander geraten, ist klarzustellen, dass Hochsensibilität nicht mit Hochbegabung gleichgesetzt werden kann und auch von der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) abgegrenzt werden muss, da zwar die Überreizung möglicherweise gleich erlebt wird, jedoch hochsensible Menschen im Gegensatz zu Personen mit ADHS eher von einer reizarmen Umgebung profitieren und dann keine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten mehr aufweisen.

Hochsensibilität als Vorteil begreifen

Sein eigenes Temperament zu kennen, ist sicher kein Fehler, auch um die oft als Nachteil empfundenen Wahrnehmungs- und Reaktionsweisen (z.B. Reizüberflutung, Überstimulation) einordnen zu können und rechtzeitig für Ausgleich (z.B. Ruhe, Reizarmut) zu sorgen. Aber auch die Möglichkeit, die eigene Durchlässigkeit und intensivere Wahrnehmung für subtile Reize als für sich nutzbaren Vorteil zu begreifen, sollten Hochsensible sich für sich erarbeiten. Sensibler als andere zu sein, kann für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten (z.B. im künstlerisch-kreativen, zwischenmenschlichen oder beratenden Bereich oder auch in der Forschung) hilfreich sein. Als Zuhörer sind Menschen mit größerer Sensibilität in jedem Fall beliebter als andere, sehr empathisch nehmen sie selbst feinste Nuancen wahr. Auch Gewissenhaftigkeit, eine umsichtige Risikoabwägung gegenüber neuen Dingen, größeres Reflexionsvermögen und eine bessere Intuition können mit Hochsensibilität einhergehen. Allesamt Eigenschaften, die sich Betroffene zu Nutzen machen können, vor allem wenn es darum geht, in unserer reizüberfluteten und überfordernden Gesellschaft ein ausgleichendes, entschleunigendes Gegengewicht zu setzen. Das gilt im Übrigen auch für Partnerschaften, die hochsensible Menschen besonders intensiv erleben und damit eine Liebesbeziehung außerordentlich bereichern können.


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