Die Kunst des Verzeihens

Verletzungen bleiben nicht aus, wenn man einem anderen Menschen nah kommt. Doch wie geht man am Besten damit um? Wann ist verzeihen angemessen und wann nicht? Diesen Fragen geht Jana Seelig in ihrer heutigen Kolumne auf den Grund

Mahatma Ghandi sagte einst, dass das Verzeihen eine Eigenschaft der Starken ist, schwache Menschen hingegen nicht verzeihen können. An dieser Stelle muss ich ihm direkt widersprechen. Ob man jemandem vergeben kann oder nicht ist nicht ausschließlich eine Frage des eigenen Charakters, sondern auch eine, bei der die Schwere der zugefügten Verletzung durch das Gegenüber berücksichtigt werden muss – denn es gibt Dinge, die einfach unverzeihlich sind. Die Grenzen muss dabei natürlich jeder für sich selbst setzen. Im Großen und Ganzen jedoch ist das Verzeihen meiner Meinung eine Sache, die einem Menschen viele negativen Gefühle erspart – selbst dann, wenn man der Person, die einen verletzt hat, nur innerlich vergibt.

Vergebung ist in meinen Augen etwas, das man lernen muss – vor allem, wenn das Gegenüber seinen Fehler nicht einsehen möchte und sich nicht für eine Verletzung, sei es nun ein böses Wort oder ganz und gar ein Seitensprung, entschuldigen will. Es gibt sie nämlich, diese Menschen, die niemals um Vergebung bitten und erwarten, dass man alles, was sie tun oder sagen, einfach so hinnimmt. Ihnen trotzdem zu verzeihen, ohne auf ihren Fehltritten herumzuhacken, ist eine echte Kunst, die es sich zu lernen lohnt. Denn es bewahrt einen selbst vor viel Groll und damit auch vor Schmerz, den man eigentlich nicht mit sich herumtragen möchte.

Während es in bestehenden Beziehungen, an denen beide Partner festhalten, für die zwei Menschen bereit sind, ein wenig Arbeit auf sich zu nehmen, relativ leicht ist, zu vergeben, steht man regelrecht vor einer Herausforderung, wenn man einem Expartner oder einer Expartnerin etwas verzeihen möchte, zu der oder dem man den Kontakt längst abgebrochen hat – ohne Chance auf eine echte Versöhnung, bei der man wieder zusammenkommt. Dabei ist es genau das, was man meiner Meinung nach tun sollte, um sich selbst von Verletzungen, die einem durch einen anderen Menschen zugefügt wurden, heilen zu können. Ganz egal, ob man diesen Menschen noch in seinem Leben haben möchte oder nicht.


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