Die Angst vor der Liebe

Wir haben mehr Angst vor wahrer Liebe als vor bedeutungslosem Sex. Doch warum ist das eigentlich so und was tut man dagegen? Jana Seelig schreibt in ihrer heutigen Gastkolumne über die Furcht, jemanden zu lieben

Vor einiger Zeit habe ich gemerkt, dass ich nicht weiß, wie man eigentlich richtig Schluss macht. Letzte Nacht habe ich dann begriffen, dass ich zudem nicht weiß, wie man jemandem sagt, dass man ihn mag – also mehr mag, als man angesichts der aktuellen Umstände vielleicht sollte.

Ich sitze mit meinen Mitbewohnern am Tisch und drehe mir eine Zigarette, wozu ich zuerst einmal eine alte Kippe auseinandernehmen muss, um an den Filter zu kommen, weil ich wieder einmal vergessen habe, einfach neue zu kaufen, als die Packung sich dem Ende neigte. Die Mitbewohner schütteln verständnislos die Köpfe und ich weiß, dass in eben diesen eine Frage kreist – nämlich die, warum ich Dinge nicht einfach tue, wenn ich genau weiß, dass ich sie tun muss.

Natürlich geht es bei der Frage nicht um die Filter, sondern um das, was ich ihnen gerade erzählt habe: Ich habe mich verliebt. So Hals über Kopf. Vom einen auf den anderen Tag. Und jetzt weiß ich nicht, wohin mit dem Gefühl.

Es gibt da diesen einen Mann, und der ist so ganz anders als all die Männer, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Natürlich könnte ich anfangen aufzuzählen, was ihn für mich besonders macht, aber dann kämen wir hier nie zum Punkt. Fakt ist: Er ist ein wirklich guter Mensch – und gute Menschen verliert man nicht gern.

Ich habe keine Ahnung, ob er mich auch so mag, wie ich ihn mag. Ja, er hat mich schon einmal geküsst – aber ehrlich, welche Aussagekraft hat das heute noch? Wenn ich die Möglichkeit hätte, mich zu küssen, würde ich das schließlich auch tun – und zwar ganz ohne Gefühl. Knutschen ist immerhin eines der tollsten Dinge, die man mit dem Mund so machen kann. Neben Essen natürlich. Und Bier trinken.

Meine Mitbewohner sagen mir, ich hab bei ihm nichts zu verlieren. Das Ding ist aber: Ich habe Angst, ihn zu verlieren. So schön und einfach Liebe sein kann, so kompliziert ist es doch, wenn der eine mehr will als der andere. Ich neige dazu, mich abzukapseln, wenn ich bemerke, dass meine Gefühle nicht erwidert werden – nur das Ding ist halt, dass er so die Art Mensch ist, von der man sich auf gar keinen Fall abkapseln will, weil sie einem halt echt so richtig gut tut.

Plan A, nämlich der, die Gefühle einfach mit einer wilden Mischung verschiedener Schnäpse hinunter zu spülen, wie das jeder vernünftige Mensch meiner Meinung nach tun würde, um nur einen Kater und nicht etwa ein gebrochenes Herz zu riskieren, scheitert an der Tatsache, dass ich zur Zeit ja gar nicht trinken darf.

Plan B, also einfach so zu tun, als wäre nichts, geht bei mir leider auch nicht auf. Meine Schauspielkünste sind wohl einfach zu schlecht, um lange genug den Schein zu wahren, als sei da kein Gefühl im Spiel.

Plan C wird von meinen Mitbewohnern sofort zerrissen. Ich hatte nämlich vorgehabt, mich einfach nie wieder bei ihm zu melden. So würde ich nämlich auf keinen Fall Gefahr laufen, von ihm beim in ihn verknallt sein erwischt zu werden.

Letzten Endes sind also alle drei Pläne zu doof. Sowohl für mich als auch für ihn. Es muss etwas anderes her. Etwas, bei dem die Gefühle nicht geschluckt, sondern tatsächlich ausgesprochen werden – und zwar so, dass es dabei vor allem mir so gut wie möglich geht. Immerhin bin ich ja diejenige, die diese seltsamen Gefühle in sich trägt.

Plan D enthält die Überlegung, eine WhatsApp-Nachricht zu schreiben, in der ich besagtem Mann meine Gefühle schildern und das Telefon sofort im Anschluss verbrennen würde. Finden meine Mitbewohner aber auch doof, immerhin bin ich keine 13 mehr und so ein Smartphone ist ja auch nicht billig. Mein „Und wenn ich nur die Sim-Karte vernichte?“ wird mit einem genervten Augenrollen quittiert.


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