Es hat lange gedauert, aber endlich habe ich meine Mutter verstanden

Ein Leben voller Angst

Heute weiß ich, dass ihr ganzes Leben von Angst bestimmt war. Nicht nur die Sorge um ein Kind, die ich nachvollziehen konnte, als ich selber Mutter wurde. Im Nachhinein habe ich mich dann für meine trotzige Genervtheit geschämt. Aber bei meiner Mutter war es mehr als mütterliche Sorge. Ihre Angst war größer, allumfassend, alles bestimmend. „Kletter da nicht rauf, lass mich das lieber tragen.“ Ich war ein überbehütetes Kind. Und ein unsicheres. Mit großer Angst, etwas falsch zu machen. Oder falsche Entscheidungen zu treffen. Noch heute leide ich unter meiner Entscheidungsschwäche. Wenn ich mich endlich zu Entscheidungen durchgerungen habe, bereue ich sie nicht selten. Wundern tut mich das heute nicht mehr.

Punktsieg bei der Partnerwahl

Meine erste richtige, längere Beziehung war dann natürlich ein Studienkollege. Nicht der Goldgräber, in den ich mich unsterblich im venezolanischen Dschungel verliebt hatte. Wie sähe mein Leben heute aus, wenn ich nicht die mahnenden Worte meiner Mutter in den Ohren und ihre lähmende Angst in den Genen gehabt hätte? Doch es ist müßig, darüber zu spekulieren. Man ist das Kind seiner Eltern mit all den Stärken und Schwächen, die sie einem durch Vererbung und Erziehung mit auf den Weg gegeben haben. Sie haben einem das Leben geschenkt und versucht, ihr Bestes zu geben.

Überleben und alles absichern

Sie selber hatten ja auch schon Päckchen von ihren Eltern mitbekommen. Und vom Krieg. Die Angst meiner Mutter basiert bestimmt zu großen Teilen auch auf dem Umstand, dass sie ein Kriegskind war. Kurz nach Ausbruch des 2. Weltkrieges geboren, waren die ersten Jahre ihres Lebens von diesem Krieg geprägt. So manche Nacht ihres jungen Lebens hat sie im Bombenkeller verbracht. Ein kleines blondes Mädchen mit langen, geflochtenen Zöpfen saß da neben Mutter und Bruder in einem staubigen, kalten Bunker. Voller Angst um ihr Leben und das ihrer Familie. Angst vor lärmenden Flugzeugen, Bomben, Feuer. Angst zu sterben oder als Waise aufzuwachsen. Wie kann man das unbeschadet überstehen? Wie kann man danach ein unbeschwertes Leben führen ohne Angst? Nach dem Überleben ging es dann primär darum, das Leben abzusichern.


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