Toxische Wünsche

Wie weit kann ich gehen? Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin hat sich auf einen Mann eingelassen, dessen Forderungen immer mehr ihre Grenzen überschreiten. Dennoch kann sie sich nicht lösen. Sie macht mit und leidet. Bis endlich ihr Widerstand groß genug wird

„Du bist meine kleine Hure und ich möchte, dass du da anrufst.“

Ich sitze am Küchentisch. Vor mir liegt aufgeschlagen ein Sexheftchen von der Sorte, die sich auf natürliche Darstellungen und private Anzeigen spezialisiert hat. Jonas sitzt mir gegenüber und gibt mir das Telefon in die Hand: „Ruf ihn an.“ „Ich weiß nicht“, murmle ich. Ich hasse es, mit Fremden zu telefonieren, und eigentlich fühle ich mich sowieso ungut mit der Sache. Doch Jonas duldet keine Zögerlichkeit: „Du bist meine kleine Hure und ich möchte, dass du da anrufst.“

Meine Tränen kümmern ihn nicht

Obwohl es nicht das erste Mal ist, dass ich auf seinen Wunsch hin via Anzeige Telefonsex mit irgendeinem mir komplett Fremden habe, fühle ich mich in diesem Moment urplötzlich erschöpft und ausgelaugt. Ich kann die Tränen nicht zurückhalten. Sie laufen mir über die Wangen, während ich die Nummer ins Telefon tippe. Jonas muss die Tränen bemerken, sagt aber nichts, wartet nur ab. Das Freizeichen ertönt. Ich zähle fünfmal ab und lege erleichtert auf. Keiner rangegangen. Glück gehabt. Jonas schaut mich jetzt wieder liebevoll an. „Gut gemacht“, sagt er und nimmt mich in den Arm. Er ist Trost und Bedrohung zugleich. Ich weine heftiger und vielleicht ist das der Moment, als in mein Herz und Hirn einsickert, dass ich da raus muss. Was mache ich hier eigentlich?

Ich lernte Jonas als meinen Dozenten an der Uni kennen und war von der ersten Sekunde an von diesem schweigsamen Mann, der fast doppelt so alt war wie ich und den Kommilitonen als sehr merkwürdig wahrnahmen, fasziniert. Da war etwas Geheimnisvolles, Dunkles an ihm, was mich nicht losließ. Außerdem war da der Reiz des Verbotenen, denn ich war in einer Beziehung – und er auch, wie mir bald klar war. Ich war die, die ihn verführte, wobei er mich lange Zeit nicht an sich heranließ. Dass ich ihn nicht bekam, stachelte mich nur noch mehr an – und ich verliebte mich.

Das Dunkle faszinierte mich

Irgendwann wurde aus den Seminarpausen und den Heimfahrten ein sexuelles Spiel. Wir streunten durch Uni-Gebäude und irgendwo im Keller umfasste er mit seiner Hand meinen Hals und sagte: „Ich könnte dir die Kehle zudrücken.“ In dem Moment war es ein Spiel, so erschien es mir. Im Rückblick nach vielen Jahren bekomme ich etwas Angst. Er tat mir jedoch körperlich nie etwas zuleide, was den Sog stärker machte und mich stattdessen in eine psychische Abhängigkeit trieb. Ich ging immer noch etwas weiter mit ihm. Verlieren wollte ich ihn auf keinen Fall.


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