unerhört: Haben wir bei so vielen Unterschieden eine Chance?

Kann trotz der vielen Unterschiede aus unserer Beziehung noch etwas werden? Der anonymem beziehungsweise-Leserin fehlen in ihrer Partnerschaft die Gemeinsamkeiten.

Antwort: Haben Sie noch gemeinsame Ziele?

Eine der nach meiner Erfahrung nach wichtigen Faktoren, die über das Gelingen einer Beziehung entscheidet, ist eine gemeinsame Perspektive. Vielleicht kennen Sie den Spruch: Es ist nicht so wichtig, dass sich Partner immer ansehen, Sie müssen in die gleiche Richtung blicken.

Unterschiede in der Persönlichkeit und im Verhalten können sehr anstrengend sein, bedrohlich wirken und Hilflosigkeit und Alleinsein vermitteln. Gleichzeitig können sie aber auch Ergänzungen sein, Inspiration und Austausch. Je stabiler die Basis ihrer Beziehung durch gemeinsam geschaffene Erfahrungen und Werte ist, umso sicherer erleben die Partner ihre Verbindung. Eine sichere Verbindung wiederum lässt Unterschiede leichter als Ergänzungen wahrnehmen.

Wenn Sie, wie Sie schreiben, große Unterschiede erleben, dann vermute ich, diese waren anfangs auch ganz besonders reizvoll. Sie erlebten und sahen die Vorteile dieser Gegensätzlichkeiten. Mit der Zeit verlieren diese aber oft den zunächst anziehenden Aspekt. Der Partner, der Ruhe schafft und erdet, wird dann vielleicht zum Partner, der keine Initiative zeigt – oder zu wenig. Der Partner, der den Trubel meidet, gibt zunächst willkommene Entspannung, aber irgendwann fehlt vielleicht dann auch wieder die Exploration.

Die Mischung macht’s!

Was eine tragfähige Partnerschaft ausmacht, ist die passende Mischung aus Gemeinsamkeiten, die Sicherheit geben, durch die sich die Partner verstanden und erkannt erleben – und die nötigen Unterschiede, um gemeinsam miteinander zu wachsen und sich zu inspirieren. Nach meiner Erfahrung hat die Kommunikationsfähigkeit der Partner sehr viel damit zu tun, ob viele Unterschiede die Verbindung belasten. Je weniger, umso besser. Denn Unterschiede werden eben erst durch Kommunikation meist als Ergänzung wahrgenommen. Fehlt diese, erscheinen sie bedrohlich und der Partner fremd.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass jede Persönlichkeitseigenschaft und jede Verhaltensweise sowohl positiv als auch negativ erlebt werden kann. Es kommt auf die Situation an. In dem Moment, in dem der Fokus (nur noch) auf den negativen Erfahrungen liegt, wird die Beziehung belastet. Die Verbindung wird in Frage gestellt, sie wirkt unsicher. Das erhöht den Stress. Meist bei beiden Partnern, meist mit unterschiedlichen Strategien, mit diesem Stress umzugehen. Und diese Strategien werden vom Gegenüber meist auch noch als ganz besonders unpassend und falsch erlebt. Das erhöht den Zweifel und den Stress. Und dann eskalieren Konflikte zu Streits. Und je mehr sie davon erleben, umso unsicherer fühlen sich die Partner in der Verbindung. Damit ergibt sich ein Kreislauf, der oft nur schwer unterbrochen werden kann. Nicht immer ohne externe Unterstützung, um das gegenseitige Verständnis zu erleichtern.

Konflikte verhandeln

Bitte verstehen Sie, dass ich keine Empfehlung geben möchte, ob Sie Ihre Beziehung fortführen oder beenden sollen. Das steht mir nicht zu und das ist auch in der Paartherapie nicht der Auftrag an den Therapeuten. Vielmehr geht es darum zu helfen, dass die Partner die Gespräche führen können, die sie dringend führen müssen, aber bisher nicht führen konnten. Hilfreich dabei ist der Blick auf das, was Sie haben und was Sie daraus gemeinsam gestalten können. Lenken Sie den Blick weg von dem, was Ihnen fehlt. Ohne Positivismus werden beide Partner keine oder zu wenig Energie und Initiative in die Beziehung stecken (können).

Auch wenn das (sehr) schwer fallen mag: Gerade in Krisenzeiten ist es unabdingbar, ein Plus an Nähe zu schaffen. Umarmungen sind dann am notwendigsten, wenn man sie am wenigsten verdient hat. Diese Auseinandersetzung schafft dann wieder die Nähe, die Sicherheit geben kann. Es braucht Sicherheit, um Konflikte verhandeln zu können. Ohne Sicherheit werden daraus Streits.

Mein Rat deshalb an Sie ist:

Prüfen Sie gemeinsam, ob Sie Ihre Konflikte in lösbare und unlösbare Konflikte unterscheiden können. Und ob es Ihnen gelingt, die unlösbaren zu akzeptieren und mit diesen gemeinsam zu leben. Finden Sie heraus, ob Ihre gemeinsam geschaffenen Werte und Erfahrungen und ebenso Ihre Wünsche für die Zukunft zusammenpassen. Verhandeln Sie, was möglich ist. Vermeiden Sie Kompromisse, die sich auf „halbem Weg“ treffen. Denn die sorgen für Frust, weil dann niemals ein Partner wirklich das erhält, was er benötigt. Finden Sie Verhandlungsspielraum in Tauschgeschäften, bei denen jeder mal alles bekommt, was er sich wünscht. Das schafft Zuversicht, dass die Beziehung Bestand haben kann.

Wenn Ihnen diese Gespräche alleine nicht gelingen, dann bemühen Sie sich um Unterstützung. Sicher gibt es in Ihrer Nähe Therapeutinnen und Therapeuten. Oder Sie greifen auf Onlinekurse oder Web Seminare zurück. Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten. Finden Sie für sich diejenigen heraus, die sich gut anfühlen und die Ihnen helfen können.

unerhörtehrlich

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