unerhört: Der Richtige zum falschen Zeitpunkt

Unser Thema in dieser Woche: Ein Fall von unbewusster Bindungsangst. Jahrelang bemüht sie sich um ihn. Doch als er sich ihr endlich zuwendet, bekommt sie Panik

Frage: Ich habe Angst, den Mann meines Lebens gehen zu lassen und frage mich, ob ich etwas hätte anders machen können, damit es doch noch funktioniert hätte

Und zwar fing alles vor einigen Jahren an, als ich bei einer Freizeit einen Mann kennenlernte, der mir so sympathisch war, wie kein anderer zuvor. Er hatte genau denselben Humor, wir teilten dieselben Ansichten, hatten unglaublich viele Gemeinsamkeiten … Nur hatten wir in diesen zwei Wochen irgendwie nicht allzu viel miteinander zu tun, was auch daran gelegen haben könnte, dass er erst dachte, mein bester Kumpel wäre mein Freund. Jedenfalls fand er dann eine andere toll, mit der er sich danach auch noch getroffen hatte. Daraus wurde allerdings nichts und inzwischen hat sie einen anderen Freund. Wir hatten nach der Freizeit so gut wie keinen Kontakt mehr und trotzdem ging er mir nie aus dem Kopf.

Ein Jahr später, kurz bevor bevor die nächste Freizeit stattfand, schrieb er mich auf einmal auf facebook an. Er meinte, dass er gehört hatte, dass ich dieses Jahr auch wieder dabei bin und dass er sich freut. Wir begannen über dieses und jenes zu schreiben und unsere Nachrichten wurden zu endlos langen Romanen, wo wir über die tiefgründigsten Themen philosophierten. Als wir dann auf der Freizeit waren, hingen wir in der ersten Woche ständig zusammen rum. An zwei Nachmittagen lagen wir fünf Stunden zusammen auf der Wiese und redeten ununterbrochen über die persönlichsten Themen und stellten immer mehr Gemeinsamkeiten fest. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Dann, in der zweiten Woche, ging er mir auf einmal immer mehr aus dem Weg. Ich verstand die Welt nicht mehr und war ziemlich fertig, da er der Mann meines Lebens war und ich mir nicht vorstellen konnte, einen Passenderen für mich zu finden. Ich hielt die Ungewissheit nicht mehr aus und deutete ziemlich eindeutig an, dass ich ihn sehr mag. Daraufhin kam eine aufrichtig und ausführlich formulierte Antwort, dass er mich wirklich auch sehr mag und gehofft hatte, dass sich etwas entwickelt, aber man Gefühle eben nicht steuern kann. Er würde aber wirklich gerne freundschaftlich mit mir in Kontakt bleiben.

Ich war traurig und wollte so gerne verstehen, woran es gelegen hatte, was ich falsch gemacht hatte. Langsam versuchte ich, mich damit abzufinden und dachte mir, dass vielleicht irgendwann noch einer kommen würde, der noch besser zu mir passt, auch wenn ich es mir momentan nicht vorstellen konnte. Als ich für einige Monate im Ausland war und gerade ganz gut dabei, mich damit abzufinden und immer seltener an ihn dachte, erschien plötzlich eine Nachricht von ihm auf meinem Handy. Wir begannen wieder zu schreiben und es wurde wieder mehr und mehr, immer intensiver. Er gestand mir, dass er sich auf der Freizeit in eine andere verguckt hatte (daraus ist aber nie etwas geworden). Ich war verletzt und entgegnete, dass ich kein Trostpreis sein möchte. Daraufhin folgte eine sehr lange, aufrichtige Nachricht, in der er erklärte, dass ich das völlig falsch sehe, er sich blenden lassen hat und sein Verhalten zutiefst bereut. Er wünschte, er könnte es rückgängig machen und bat mich um Verzeihung und noch eine Chance.

Die Chance gab ich ihm und dann schrieben wir noch mehr und noch persönlicher. Auf einmal war es, als wären wir schon zusammen.

Wir waren beide total glücklich, hielten uns ständig auf dem Laufenden, …

… bis zu dem Tag, als ich überfordert war.

Mich überkam ein überwältigendes Erdrücktheitsgefühl, das mir geradezu die Kehle zuschnürte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Er war der Tollste für mich und auf einmal wurde mir alles zu viel, ich freute mich nicht einmal mehr über seine Nachrichten. Ich hatte Angst: Was, wenn meine Gefühle inzwischen doch irgendwie verschwunden sind? Mir wurde bewusst, dass ich nach seiner Ablehnung damals einen Prozess mitgemacht hatte und alles nicht mehr dasselbe war. Wir legten eine Kontaktpause ein. Als ich kurz darauf wieder in Deutschland war, trafen wir uns oft. Es war echt schön und er gab sich unheimlich Mühe. Aber das Erdrücktheitsgefühl ging nicht weg. Ich wachte schon morgens mit einem fetten Kloß im Hals auf. Ich fand ihn nach wie vor toll, aber ich konnte mich nicht auf die Beziehung einlassen. Ich wollte trotzdem weiter kämpfen, hoffte, dass meine Zuneigung irgendwann wieder stärker sein würde als dieses negative Gefühl. Ich redete mit ihm über alles. Und letzte Woche musste ich ihm mitteilen, dass ich nicht mehr kann, dass ich aufgebe. Ich wollte nicht aufgeben, hätte alles getan, um es zu retten, aber ich konnte nicht mehr, weil das erdrückende Gefühl mich total fertig machte.

Aber auch Wochen später kann ich noch immer nicht loslassen. Habe Angst, den Mann meines Lebens gehen zu lassen und frage mich, ob ich etwas hätte anders machen können, damit es doch noch funktioniert hätte. Und ob es nicht doch noch irgendeine Chance für uns gibt, auch wenn mich der Gedanke an eine Beziehung momentan nur erdrückt.


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