Kurvig und selbstbewusst: Ein Plädoyer für Vielfalt

Mehr ist mehr. Natalie Prinz über Selbstwertgefühl und eine Anziehungskraft, die wahrscheinlich gar nicht so viel mit Äußerlichkeit zu hat

Warum Männer auf dicke Frauen stehen, wurde ich gefragt. Die Frage liegt nahe, denn ich bin dick. Über XL bin ich schon lange raus. Dazu bin ich auch noch klein und mein Bindegewebe war noch nie das stärkste. In meiner Jugend war ich Leistungssportlerin und trotzdem immer mopsig. Mit den Jahren wird es nicht weniger. Toll finde ich das nicht, ach, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Solange Hintern und Brüste noch eindeutig als solche zu erkennen sind und mein Kinn nicht nahtlos zum Schlüsselbein übergeht, ist der Leidensdruck noch nicht groß genug. Der Grat zwischen üppig und dick ist dabei schmal und liegt im Auge des Betrachters. Über mangelnde Avancen konnte so oder so ich noch nie klagen. Ich wage zu behaupten, dass ich mit schöner Regelmäßigkeit mehr erotische Phantasien auslebe, als ein Großteil der Menschheit. Was ganz sicher nichts mit meiner Körperbeschaffenheit zu tun hat.

Wer oder was ist eigentlich das Problem?

Ich wundere mich schon gar nicht mehr über das Staunen, das in der Frage nach der sexuellen Anziehungskraft dicker Frauen mitschwingt. Man sollte jedoch darüber diskutieren, warum sie überhaupt gestellt wird. Auch wenn ich persönlich diese weder als beleidigend noch als mich auf mein Äußeres reduzierend empfinde. Man wird ja wohl noch fragen dürfen. Was ich allerdings extrem unangebracht finde, ist der aktuelle gesellschaftliche Konsens, mit dem Zeigefinger auf übergewichtige Frauen zu deuten. Oft begleitet von verletzenden Kommentaren. Derlei selbsternannte Figurpolizisten haben ganz sicher einen Haufen anderer Probleme und benutzen dicke Menschen als Ventil, um von ihren eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Ein Juror einer Castingshow durfte diese geistige Armut mit seiner Aussage: „Eine Dicke kommt mir nicht ins Bett!“ auch noch öffentlich befeuern. Ausgerechnet für die Zielgruppe der Identitätssuchenden werden solche Worte in Hochglanz präsentiert. Das hilft Mädchen natürlich ungemein auf dem Weg zu einem starken Ich. Nicht.

Über Geschmack lässt sich nicht streiten

Zurück zur Eingangsfrage. Ich weiss nicht, warum Männer auf dicke Frauen stehen. Ich habe noch keinen meiner Partner, weder die langfristigen noch die one night stands, danach gefragt. Warum sollte ich? „Du bist so schön gemütlich“, war der einzige, erklärende Kommentar, den ich jemals zu meiner Figur erhalten habe. Ich stehe auch nicht auf Männer, die explizit dicken Frauen nachjagen. Männer mit Obsessionen sind mir suspekt und zum Fetisch möchte ich gewiss nicht degradiert werden. Im Großen und Ganzen ist mein Selbstbewusstsein ausreichend, um mir meiner Schlüsselreize bewusst zu sein. Ich habe große Möpse und Humor. Das ist für viele Männer doch schon mal ein vielversprechender Anfang. Zudem verfüge ich über einen großen Erfahrungsschatz, also man kann sich mit mir wahnsinnig gut unterhalten. Ich rede nur nicht so gerne. Ich genieße lieber. In jeder Lebenslage. Was mich an dieser Stelle dazu bringt, die Frage mal anders herum zu stellen, denn das Ergebnis dürfte in etwa das Gleiche sein: Warum stehen Frauen auf dicke Männer?


Weitere interessante Beiträge
Alterslüge: Wie sage ich, dass ich mich jünger gemacht habe?
Weiterlesen

Alterslüge: Wie sage ich, dass ich mich jünger gemacht habe?

Alter ist nur eine Zahl? Ja. Und nein. Beim Dating schummeln wir uns auf unseren Onlineprofilen nicht nur größer, schlanker, (erfolg-)reicher – auch das Alter wird mitunter in die eine oder andere Richtung „optimiert“, um die Chancen beim anderen Geschlecht zu erhöhen. Wie geht man damit um, wenn man sich für jünger ausgegeben hat als man ist? Zwei Betroffene erzählen.