Ohne Selbstliebe keine erfüllte Beziehung? Blödsinn!

Man hört es immer wieder: Du musst dich erst selbst lieben, bevor du deinen Partner lieben kannst. Unsere Autorin erklärt, wieso das in ihren Augen Quatsch ist.

Und nun frage ich dich: Sind die Beteiligten immer und zu 100 % in der Selbstliebe? Hadern nie mit sich? Werden nie von Selbstzweifeln geplagt? Ich wette nicht. Denn im Grunde genommen hat jeder Mensch seine Verletzlich- und Empfindlichkeiten und zeigt damit Symptome eines Selbstliebe-Defizits – der eine mehr, der andere weniger. Demnach dürfte niemand innige Freundschaften pflegen, geschweige denn eine zufriedene Partnerschaft leben. Doch dem ist zum Glück nicht so. 

Ich habe beispielsweise eine Freundin, die ziemlich launisch sein kann. An manchen Tagen kann sie weder sich, noch ihr Leben ausstehen. Zudem quälen sie seit Jahren Gewissensbisse, weil sie davon überzeugt ist, eine schlechte Mutter zu sein und als solche für die psychische Krankheit ihrer Tochter verantwortlich zu sein. Ihr Mann wiederum ist zuweilen recht bockig und nimmt schräge Blicke oder unbedachte Scherze rasch persönlich.  

Das Selbstliebe-Fundament der beiden wankt also regelmäßig und weist den ein oder anderen Riss auf. Ja, manch einer würde ihnen vielleicht sogar einen leichten Minderwertigkeitskomplex attestieren.  

Warum die Liebe zu sich selbst nicht alles ist 

Dennoch führen sie eine harmonische Beziehung. Wie kann das sein? Nun: Zum einen wissen sie um ihre eigenen und die Unsicherheiten des anderen und gehen offen damit um. Und zum anderen drehen sie sich gegenseitig keinen Strick aus ihren Schwächen. Sie treten nicht noch nach, wenn der andere am Boden liegt oder einen schlechten Tag hatte. Im Gegenteil. Sie fangen und bauen sich gegenseitig auf und unterstützen sich. Klar knirscht und kracht es auch mal, doch die Grundstimmung zwischen ihnen ist von Verständnis und Zugewandtheit geprägt. 

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Beziehungen und das ganze Leben machen deutlich mehr Spaß und fühlen sich leichter an, wenn du einen positiven und freundlichen Umgang mit dir selbst pflegst. Zudem ist es so, dass du umso abhängiger von der Wertschätzung anderer bleibst, je weniger Wertschätzung du dir selbst entgegenbringst. Gleichzeitig kannst du Anerkennung von außen nur schwer annehmen, wenn du davon überzeugt bist, sie eigentlich gar nicht zu verdienen. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz, und natürlich lohnt es sich, aus diesem Negativ-Kreislauf auszubrechen.  

Doch daneben gibt es noch viele weitere Faktoren, die dein Beziehungsglück beeinflussen – vom passenden Menschen an deiner Seite über begleitende Rahmenbedingungen, bis hin zum Quäntchen Glück und der Prise Geduld.  

Selbstliebe = getarnter Perfektionismus 

(Selbst-)Liebe ist ein großes Wort. Liebe ist absolut, hat keine Graustufen und lässt keine Prozentangaben zu; so kommt die vielerorts propagierte Selbstliebe schnell als getarnter Perfektionismus daher. Und Perfektionismus tut nichts für dich.  

Wir dürfen also ruhig etwas entspannter an die Sache herangehen und den Ball flach halten: Auch mit einem mittleren Grad an Reflexion und Reife sowie einer durchschnittlich ausgeprägten Selbstakzeptanz und -sicherheit, kann sich der Wunsch nach einer harmonischen Partnerschaft erfüllen.  

Wie wäre es also damit, uns selbst einfach eine gute Freundin / ein guter Freund zu sein? Mal mögen wir uns mehr, mal weniger. Manches finden wir fantastisch an uns, manches nervt uns. Den einen Tag klopfen wir uns auf die Schulter, den anderen könnten wir uns zum Mond schießen – wie einen guten Freund eben. 

Ja, es ist genug, dir eine gute Freundin oder ein guter Freund zu sein. Denn du bist genug und liebenswert – auch in Zeiten, in denen du es selbst nicht siehst. 


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