Ich habe Bindungsangst. Und nun?

beziehungsweise-Leserin Sophie entdeckte, dass es nicht nur die anderen waren, die insgeheim Beziehungen vermieden, um nicht verletzt zu werden, sondern sie selbst ebenfalls. Hier beschreibt sie, was sie gegen ihre Bindungsangst unternimmt

Ich bin Sophie, 28 Jahre alt, Single, wohne in Berlin und habe Angst. Bindungsangst. Menschen aus meinem nahen Umfeld werden sich jetzt wahrscheinlich ziemlich wundern, weil ich nach außen hin immer sehr taff und stark wirke und in meinem Leben auch schon viele Herausforderungen erfolgreich gemeistert habe. Außerdem habe ich für meine Freunde immer ein offenes Ohr, so dass sie sich vor allem in Beziehungsfragen gern und vertrauensvoll an mich wenden und sich auch schon häufig den einen oder anderen Tipp dankbar bei mir abholten. Dadurch würde wahrscheinlich kaum jemand vermuten, dass ich vor irgendetwas – vor allem im Beziehungskontext – Angst haben könnte. Und auch ich hätte kürzlich noch nicht gedacht, dass ich ängstlich bin. 

Ich hatte nicht gedacht, dass ich Angst vor Nähe habe

Mit der Emotion Angst hatte ich früher Verhaltensweisen verbunden, die nach außen hin sichtbar sind, wie z.B. Höhenangst, Angst vor Insekten oder Schreckhaftigkeit. 

Und natürlich war mir auch die Bindungsangst ein Begriff, weil ich mit diesem Phänomen in den letzten Jahren schon öfter einmal in Berührung gekommen bin – allerdings eher indirekt – , weshalb ich mich bis dato eher abfällig darüber äußerte. So berichtete ich meinen Freundinnen in der Vergangenheit oft mit hochgezogenen Augenbrauen von meinen verkorksten Dates, bei denen die Männer nicht selten ihre so genannte „Bindungsangst“ als Grund vorschoben, um sich nicht auf mich festlegen zu müssen.

Damals dachte ich, dass dies ein geschmackloser Code für: „Ich habe einfach keinen Bock auf eine Beziehung mit dir, weil es da draußen noch 1.000 andere und vielleicht sogar noch bessere Frauen als dich gibt“ sein sollte und war genervt von solchen Aussagen. Für mich war das einfach eine Ausrede für: sich nicht binden WOLLEN statt nicht binden KÖNNEN(!). Einige Männer nutzten den Begriff Bindungsangst vielleicht wirklich als Ausrede, andere meinten es aber vielleicht auch wirklich ernst. Das kann ich heute nicht mehr richtig einschätzen, aber damals kam es mir noch nicht so richtig in den Sinn, dass dies ein wirklicher Grund sein sollte, um einer Beziehung lieber aus dem Weg zu gehen. 

Auch in der Theorie war mir das Phänomen bereits geläufig, weil ich mich in meiner Freizeit schon viel mit dem Thema Bindung und Bindungsqualität beschäftigt hatte, allerdings konnte ich mich damals noch nicht in die Menschen hineinfühlen, die wirklich darunter leiden. Stattdessen dachte ich: ‚Ja gut, dann hat er halt Bindungsangst, aber wenn ich ihm wirklich wichtig bin, dann kann er doch wenigstens versuchen, sie zu überwinden. Für uns. Wieso gibt er also von Vornherein auf? Das ist für mich ein Zeichen von Schwäche.‘

Heute weiß ich, dass dies ein sehr hartes Urteil war, da sich Betroffene nicht absichtlich so verhalten und meist leider einfach nicht aus ihrer Haut können, obwohl sie es sich vielleicht wünschen. Diese Erkenntnis erlangte ich allerdings erst nach meinem persönlichen Eingeständnis, ebenfalls von Bindungsangst betroffen zu sein. Danach datete ich zunächst weiterhin wild drauf los und stieß nicht wenigen Männern mit genau der gleichen Erklärung vor den Kopf, wie es meine früheren Datingpartner zuvor mit mir taten. 

Fatale, negative Glaubenssätze und Überzeugungen

Ich befand mich in einer fatalen Gedanken- und Verhaltensspirale, die immer wieder das gleiche widersprüchliche Verhaltensmuster zutage brachte. So erwischte ich mich jedes Mal erneut in dem gleichen inneren Zwiespalt, wenn die Möglichkeit bestand, mit jemanden eine neue Beziehung einzugehen: Auf der einen Seite wollte ich gern eine Beziehung führen und somit emotionale Nähe spüren, auf der anderen Seite wollte ich aber auch unabhängig bleiben und meine Autonomie bewahren – gegensätzliche Bedürfnisse, die in einer Beziehung schnell zu Problemen führen können.

Ich merkte förmlich, wie es mir den Hals zuschnürte, wenn sich aus mehreren gut laufenden Dates eine potenzielle Beziehung ankündigte und verspürte plötzlich ein starkes Bedürfnis nach (emotionaler) Distanz. Tausend Fragen schossen mir in der Situation durch den Kopf: ‚War das wirklich der Richtige? Was ist, wenn es nicht der Richtige ist? Wie teile ich zukünftig meine Zeit ein, so dass er ein fester Bestandteil meines Alltages werden kann? Habe ich überhaupt genug Zeit für eine Beziehung? Was ist, wenn da draußen noch jemand anderes wartet, der noch besser zu mir passt?‘ Uff.

Hatte ich die letzte Frage wirklich gedacht?! DIE Frage, deren Inhalt ich selbst immer total verteufelte? Was war plötzlich los? Früher hatte ich solche wirren Gedanken doch auch nicht und bin mit deutlich weniger Zweifeln neue Beziehungen eingegangen?! Außerdem wünschte ich mir doch einen Partner, was war also das Problem?! Vermutlich schossen diese Fragen wie Blitze in mein Bewusstsein, weil ich in der Vergangenheit einige Beziehungserfahrungen machte, die ich noch nicht ganz aufgearbeitet hatte und deshalb noch nicht bereit für etwas Neues war. Stattdessen war ich komplett blockiert und tat Dinge, die ich selbst nicht von mir kannte.

Ich suchte jedes Mal verbissen nach Gründen, weshalb mein potenzieller Partner auf keinen Fall zu mir passte und es deshalb besser war, die Dates lieber schnell auslaufen und nicht in einer Beziehung münden zu lassen. Ich suchte also krampfhaft nach irgendwelchen (absurden) Fehlern. Irgendwann verinnerlichten sich die anfangs nebensächlichen „Mücken“ zu bleischweren „Elefanten“, so dass ich fleißig Körbe verteilte und danach jedes Mal erneut darüber erleichtert war, wieder Luft zum Atmen zu haben.


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