Wenn das Bleiben keinen Sinn mehr hat – Should I stay or should I go?

Manchmal ist es besser, zu gehen anstatt zu bleiben. Warum es uns manchmal schwerfällt, Beziehungen zu beenden, obwohl sie uns nicht guttun? Wir versuchen es einmal rational zu erklären

Erster Fall: Nadine und Simon

Es ist wie immer. Sie sitzen vor dem Fernseher und haben sich nichts zu sagen. Wenn Nadine denn überhaupt da ist. Oft geht sie gleich nach dem Abendessen ins Arbeitszimmer, sie müsse noch Rechnungen prüfen. Wann sind sie eigentlich das letzte Mal ausgegangen oder haben gemeinsam einen Ausflug gemacht? Er kann sich nicht erinnern. Simon ist nicht glücklich, schon lange nicht mehr. Aber ist er unglücklich? Irgendwie auch nicht. Es ist ja nicht so, dass sie sich streiten würden. Ganz und gar nicht. Im Alltag und mit den Kindern läuft alles ganz harmonisch. Jeder weiß, wie der andere tickt. Und was haben sie nicht für schwere Zeiten durchgestanden. Der Tod ihrer Eltern, der Streit mit ihren Brüdern, dann verliert er seinen Job und mit den Kindern war es auch nicht immer einfach, schließlich hat der Hausbau sie finanziell nicht nur einmal an den Rand Ihrer Möglichkeiten gebracht. Alles haben sie gemeinsam durchgestanden. Und nun? Es ist die Luft raus. Aber so ergeht es doch vielen Paaren, oder? Jetzt aussteigen? Und welchen triftigen Grund hätte er auch?

Zweiter Fall: Jakob und Tina

Tina wählt Jakobs Nummer. Freizeichen, dann ist besetzt. Weggedrückt. Das kennt sie schon von ihm. Sie weiß, dass er wieder bei einer seiner Bekannten ist. Letzte Woche war es Bianca, diese Woche Sofie. Er braucht seine Freiheit, sagt er, wenn sie ihn darauf anspricht und dass da nichts läuft. Schwer zu glauben. Jakob kann so toll sein, er ist humorvoll und charmant. Ok, manchmal reagiert er sehr ungehalten, es hat auch schon handfesten Streit gegeben, er hat sie gegen die Tür gestoßen. Aber das passiert nur selten und sie hat sich ja noch nie ernsthaft verletzt. Ein paar blaue Flecke, mehr nicht. Und dann ist er wieder so zauberhaft. Er entschuldigt sich und erklärt, dass er es nicht wollte, aber sie müsse respektieren, dass er eben ein Mann ist, den man nicht einsperren kann. Sie versteht das und was hat sie nicht alles in die Beziehung investiert und für ihn hintenangestellt. Wenn er dann mal Zeit für sie hat, dann hat sie sich sofort frei genommen oder auch schon mal krankgemeldet, alles stehen und liegen gelassen. Hat sich so angezogen, wie er es mag, fürchterlich hohe Schuhe, ein Vermögen hat sie ausgegeben und konnte kaum darin laufen. Oder die Konzertkarten, mit denen sie ihn überrascht hat. Sie mag die Musik ja nicht, aber er liebt sie. Mitgenommen zum Konzert hat er dann einen Freund, nicht sie, er meinte, sie hätte ja ohnehin keinen Spaß und es wäre doch wohl sein Geschenk. Irgendwann muss sich ihr Bemühen doch mal auszahlen und er wirklich zu ihr stehen.

Wir fühlen uns durch unsere Handlungen gebunden

Beispiele aus dem Alltag gibt es zu Hauf. Wir biegen falsch ab und statt sofort umzudrehen, verfolgen wie stur weiter den Weg und hoffen, dass auch dieser zum Ziel führen wird. Oder wir stehen in der Warteschlange und fragen uns die ganze Zeit, ob es noch Sinn hat, weiterzuwarten und mit jeder weiteren Minute des Wartens, denken wir, dass wir nun schon so lange gewartet haben, dass diese Wartezeit ja verschenkt wäre, wenn wir die Schlange verlassen würden. Also bleiben wir stehen.

Wir investieren in ein Projekt, sei es nun der Gebrauchtwagen, der mit jeder weiteren Reparatur teurer wird oder eine Beziehung, die sich hoffentlich irgendwann als eine glückliche erweisen wird, auch wenn alles dagegen spricht. Wir stehen zu unserem Ehepartner, obwohl dieser gewalttätig ist oder fremd geht. Ähnlich ergeht es auch Tina und Simon in unseren beiden Fallgeschichten: Sie halten an ihren Beziehungen fest, obwohl sie sich längst als unbefriedigend oder unglücklich herausgestellt haben. Aber jetzt aufgeben? Man hat doch schon so viel in die Beziehungen investiert, so viel durchgestanden oder sich so verbogen, irgendwann muss sich das Blatt doch zum Guten wenden, sich die Mühe lohnen. Wenn Simon und Tina jetzt aufgeben würden, wäre doch alles umsonst gewesen. Oder etwa nicht?


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