Stiefmutter sein ist nichts für Feiglinge

“Du hast mir gar nichts zu sagen!” Ihren Platz in der Patchworkfamilie mit dem neuen Partner musste Susanne Petermann sich erst einmal suchen. Über diesen Kampf hat sie ein Buch für die neue Generation von Stiefmüttern geschrieben

Man kann nicht behaupten, dass die Situation aller Stiefmütter identisch ist, ganz im Gegenteil. Die Palette ist ungefähr so bunt und breit gefächert wie die Make-up-Abteilung eines gut sortierten Kaufhauses. Birgit zum Beispiel lernte ihre Stiefkinder kennen, als sie vier und acht Jahre alt waren, drei Wochen später zogen die beiden Mädchen plötzlich bei ihr und ihrem Mann ein. Dana hat ihren Stiefsohn noch nie gesehen, nicht einmal ihre Tochter durfte den Stiefbruder bisher treffen. Die Mutter des Jungen verweigert jeden Kontakt. Marlies ist schon zum zweiten Mal Stiefmutter, in ihrer ersten Ehe lief alles schief, heute lebt sie ein glückliches Patchwork.

Einige Stiefmütter wohnen mit ihren Stiefkindern zusammen, andere haben Besuchskinder oder praktizieren das Wechselmodell: eine Woche Mama, eine Woche Papa. Manche Frauen müssen Kinder und Stiefkinder unterschiedlichster Altersgruppen unter einen Hut bekommen, andere verabschieden sich vom Wunsch nach eigenen Kindern, weil dafür das Geld nicht reicht, der Partner keine weiteren Kinder will oder die Frau durch die Stiefkinder abgeschreckt ist. Wieder andere wünschen sich, das Kind des Partners zu ihrem eigenen machen zu können. Aus Sorge um das Wohlergehen des Kindes oder in der Hoffnung, dass die Probleme mit der Ex dann verschwinden.

Stiefmütter haben wenig Verbündete und stoßen auf viele Vorurteile

Patricia war eine der ersten Stiefmütter, die mich darauf aufmerksam machte. »Wenn bei uns etwas aus dem Ruder läuft, schauen mich alle schief an und tuscheln hinter vorgehaltener Hand. Jedenfalls kommt es mir immer so vor. Meine Schwiegermutter, meine Schwägerin, sogar mein Mann glauben, dass ich die Einzige bin, die für die Fehler zuständig ist. Den Kindern lassen sie alles durchgehen, die trifft nie die Schuld, und meinen Mann himmeln sie dafür an, dass er sie jedes Wochenende holt. Auch auf die Ex lässt niemand etwas kommen, Schwiegermutter und Schwägerin trauern ihr sogar heute noch nach. Somit bin ich die Böse. Ich wage schon gar nicht mehr, den Mund aufzumachen. Immer heißt es, die Kinder hätten es sich nicht aussuchen können, dass ich da bin. Ich dagegen hätte die Wahl gehabt, und mein Mann hätte mir auch nie verheimlicht, dass er Vater und geschieden war. Also müsste ich mich anpassen.«

Stimmt das eigentlich, wird in einer Patchwork-Konstellation stets dem Neuzugang, also der zweiten Frau, der Sündenbock zugeschoben?

In einer Fußgängerzone im Ruhrgebiet machte ich dazu einen Test in Form einer kleinen Umfrage. Von Passanten wollte ich wissen, wen die Schuld trifft, wenn es Probleme zwischen Stiefmutter und Stiefkind gibt. Natürlich ist das Ergebnis nicht repräsentativ, aber fast alle hielten die Stiefmutter für verantwortlich, schließlich sei sie die Erwachsene. Nur wenige meinten, es käme auch auf das Kind an. Ein einziger Mann (geschieden) meinte, dass die Ex, also die leibliche Mutter, einen Anteil an den Schwierigkeiten haben könnte. Auf die Idee, dass der Vater, die Gesellschaft oder gar das Familienrecht Verursacher von Spannungen sein könnte, kam niemand. Warum ist das so?

Nach meinen Recherchen bin ich davon überzeugt, dass die Konflikte der Stiefmütter an fünf Fronten auftauchen:

Front 1: die Gesellschaft
Front 2: die leiblichen Mütter
Front 3: die Kinder
Front 4: die Männer
Front 5: das Familienrecht

Selten werden die Konflikte nur an einer Front ausgetragen. Häufig schließen sich einzelne Parteien in einem gemischten Reigen zusammen und werden Alliierte. Die Gesellschaft verbündet sich zumeist mit den leiblichen Müttern. Kinder können sowohl mit den leiblichen Müttern als auch mit den Vätern als gemeinsame Front auftreten. Nur die Stiefmutter hat kaum Verbündete, selbst ihr Partner kann zum Überläufer werden und ihr in den Rücken fallen.

Dabei nehmen die meisten Frauen ihr Umfeld zunächst gar nicht als gegnerische Front wahr. Sie zucken zwar zusammen, wenn ihnen gesagt wird, sie wären schuld an den verzwickten Auseinandersetzungen, sie hätten doch gewusst, was auf sie zukommt, aber sie wehren sich nicht.

Stattdessen fühlen sie sich schuldig.

Sie glauben, sie müssten sich einfach nur noch mehr Mühe geben, dann würde alles gut. Wenn das nicht funktioniert, wird ihre Situation fatal. Sie merken, dass keine »Nicht- Stiefmutter« ihre Situation wirklich nachvollziehen kann, ihnen von Freundinnen keine Hilfe angeboten wird. Gleichzeitig wissen sie nicht, wo sie Hilfe oder Verständnis finden können. Schließlich verstummen sie und verstärken damit das Tabu. Die Stiefmutter wird verurteilt, nicht die Situation, in der sie lebt. Man ist überzeugt, die erste Familie sei vor ihr dagewesen, hätte also ältere Rechte, sie müsse sich eben arrangieren. Wie das gehen soll, ist ihr Problem.

Die Kinder des Partners zu ertragen, kann Horror sein.

An der zweiten, der weiblichen Front, kommt es schon mal zum Schlamm-Catchen. Alle Krallen werden ausgefahren, wenn Ex und Next sich nicht verstehen. Heftig und quälend kann es werden, hat eine Stiefmutter das Pech, mit einer Ex konfrontiert zu sein, die keinerlei Skrupel kennt, ihre Kinder gegen den Vater zu instrumentalisieren. Das fühlt sich dann fast wie Terrorherrschaft an. Folterwerkzeuge gibt es genügend. Aufenthaltsbestimmungsrecht, Sorgerecht, Unterhaltspflicht, Umgangswochenende, Zusatzausgaben, Barunterhaltspflicht, Selbstbehalt, Elternzeit, Düsseldorfer Tabelle – die Liste der Begriffe, mit denen eine machthungrige Ex jonglieren kann, ist lang. Die Stiefmutter darf sich nicht in diese Dinge einmischen, sie soll höchstens verständnisvoll nicken, zuhören und ansonsten bitte schön ruhig sein.

Das hat zum Teil absurde Folgen, die vor allem an der dramatischen dritten Front, bei den Kindern, deutlich werden. Die fordern, strafen ab, werden zu Mamis kleinen Stellvertretern. Der Satz: »Du hast mir gar nichts zu sagen« ist da noch harmlos.

Die Kinder des Partners jedes zweite Wochenende zu ertragen, kann der gleiche Horror sein wie früher mit der sturen Schwiegermutter unter einem Dach zu leben. So wie manche Schwiegermutter damals mit der Ehefrau um die Gunst des Sohnes/ Ehemannes buhlte, wie sie ihre angestammten Rechte verteidigte und dabei zum Teil mit harten Bandagen kämpfte, so machen es heute die Kinder mit dem Vater – oft unterstützt oder sogar angestachelt von der Mutter. Alles soll wie immer laufen, sprich, nach den Regeln der alten Familie. Die Einstellung der Stiefmutter ist ihnen gleichgültig.

Und agiert der Partner bei auftauchenden Problemen auch noch nach dem Vogel-Strauß-Prinzip, kann die Next nur fassungslos zusehen, wie ihr ansonsten selbstbestimmter Mann nach der Pfeife eines Fünfjährigen oder nach den Wünschen eines aufsässigen Teenagers tanzt oder überzogene Forderungen der Ex widerspruchslos mitmacht. Weist sie ihn darauf hin, dass es so nicht weitergehen könne, fühlt er sich wiederum unverstanden. Groß ist nämlich seine Angst, dass die Mutter ihm den Kontakt zu seinen Kindern verweigert. Und mit der Entschuldigung: »Es sind doch meine Kinder, und ich sehe sie so selten« schlägt er sich vielleicht sogar auf deren Seite. Schnell wird der Partner auf diese Weise zur vierten Front.

Dieser Mehrfrontenkrieg ist unglaublich anstrengend, an der neuen Paarbeziehung geht er kaum spurlos vorbei.

Zusätzlich zu all den schon erwähnten Konflikten im Leben einer Stiefmutter können die Ungerechtigkeiten im Familien- recht zur fünften Front werden. Hier ist sie komplett hilflos, es werden Entschlüsse gefasst, die sie einfach nur widerspruchslos zu akzeptieren hat.

Susanne Petermann
Du hast mir gar nichts zu sagen!
Stiefmutter sein ist nichts für Feiglinge
ISBN: 978-3-453-28542-2
Verlag: Diana

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