Nicht-Monogamie und Psychotherapie: Warum es oft so schwer ist, faire Beratung zu erhalten 

Psychotherapien können in fast allen Lebenssituationen eine sinnvolle Stütze sein. Sie können auch grundsätzlich zufriedenen Menschen dabei helfen, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, mehr Gelassenheit zu erlernen und stabile Partnerschaften zu führen. Doch was, wenn die eigene Beziehung aus mehr als zwei Personen besteht? Obwohl offene Beziehungen und Polyamorie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ist sie in psychotherapeutischen Praxen oft noch ein Fremdwort. Oder gar ein Problem.  

Zentrale Grundpfeiler der Nicht-Monogamie können durch Therapie stabilisiert werden

Nicht-monogame Menschen sollten die gleiche Möglichkeit wie monogame Menschen haben, diese Themen zu besprechen, ohne permanent die Daseinsberechtigung ihrer Beziehungsform rechtfertigen zu müssen. Denn auch innerhalb von unkonventionellen Partnerschaften lässt sich vieles reflektieren und verbessern: Kommunikation, Vertrauen und Transparenz sind zentrale Grundpfeiler der ethischen Nicht-Monogamie und können durch Therapiearbeit stabilisiert werden. Zum langfristigen Vorteil der Patient:innen. Die Aufgabe von Therapeut:innen liegt vor allem darin, die beziehungsinternen Strukturen zu analysieren und Hilfestellung zu leisten, nicht aber eigene Moralvorstellungen durchzusetzen oder eine abwertende Grundhaltung zu übermitteln. 

Nicht-monogame Menschen sind bereits außerhalb der Therapie einem strengen Blick, einer dauernden Beurteilung und einem großen Rechtfertigungsdrang ausgeliefert. Die Therapie sollte ein Ort sein, an dem sie durchatmen können und in ruhiger und unaufgeregter Atmosphäre über Dinge sprechen können, die nicht perfekt sind. Nicht-Monogame Menschen benötigen oft besondere Unterstützung bei den Themen Outing, Familienplanung, Organisation und dem Umgang mit Eifersucht. Die Aufgabe des Hinterfragens und Ablehnens übernimmt meist schon das Umfeld.

Therapeut:innen sollten einen Gegenpol zur Verurteilung der Gesellschaft darstellen

Natürlich führt die ein oder andere Psychotherapie dazu, dass Menschen feststellen, lieber monogam leben zu wollen und anders herum. Manchmal ist die Entscheidung zur jeweiligen Beziehungsform gewiss schädlich. Manchmal ist sie jedoch genau das, was stabilisiert und heilt. Warum wir welche Art der Beziehung führen, ist komplexer, als dass man es auf wenige Faktoren herunterbrechen könnte.  Nicht-monogamie Beziehungen können durchaus aus gesunden und stabilen Bindungen bestehen, während monogame Beziehungen kein Garant für gesunde Bindungen sind. Die Aufgabe der Therapie ist es, die Bedürfnisse der Patient:innen zu erfassen und Ihnen zu einem glücklichen Leben zu verhelfen. Ohne zu manipulieren oder gar die Persönlichkeit unnötig zu verändern. Und eine selbstbestimmte Partnerschaft, von der man überzeugt ist und die man pflegt, ist in erster Linie ein Therapieerfolg.  

Wohlwollende Psycherapeut:innen finden

Nicht-monogame Menschen sollten bei der Suche nach einem Therapieplatz besonderes Augenmerk darauf haben, wie erfahren und offen die Therapeut:innen wirken. Im Zweifelsfall genügt ein kurzer Anruf mit der Frage, ob sich die Fachperson mit dem Thema Nicht-Monogamie auskennt. Wenn bereits im Vorgespräch große Verständnisprobleme, Pathologisierung oder gar Vorverurteilungen vorkommen, sollten sich nicht-monogame Menschen an eine andere Praxis wenden. Besonders bei queerfreundlichen Therapeut:innen ist die Chance hoch, dass ein offener und wohlwollender Umgang mit Nicht-Monogamie herrscht.  

Polyamorie, offene Beziehungen und psychotherapeutische Praxen sind eine Kombination, die nicht immer funktioniert. Dies liegt nicht an der Boshaftigkeit der Therapeut:innen, sondern an Sozialisation, mangelnden Informationen und mono-normativen Lehrplänen der Psychologie-Unis. Und während die Beziehungsvielfalt unserer Gesellschaft wächst und gedeiht, wird sich die Psychotherapie mitentwickeln, hin zu einem bedürfnisorientierten Schutzraum frei von Schuld und Scham.  


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