Der richtige Partner ist eine Illusion

Jeder hat die Beziehung, die er verdient
Buchtipp: Jeder hat die Beziehung, die er verdient

“Hören Sie auf, Ihren eigenen Klon zu suchen”, rät Bestseller-Autor Hermann Meyer in unserem Interview und plädiert dafür, aufs Unterbewusste zu hören

Herr Meyer, jeder hat die Beziehung, die er verdient – wo bleiben dann all die schönen Schuldzuweisungen, mit denen sich Partner ihr Leben schwer machen können?

Häufig ist Schuld nichts anderes, als dem Leben seine eigenen wahren Anlagen schuldig geblieben zu sein. Wenn zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zu seelischer Wärme und Zärtlichkeit, erotische und sexuelle Fähigkeiten, Verantwortungsfähigkeit, oder die Fähigkeit, geistige Abenteuer einzugehen, nicht entwickelt und eingesetzt werden, ist dies sowohl für einen selbst als auch für den Partner mit weniger Lebensqualität verbunden. Insofern ist es möglich – vorausgesetzt der Wille ist da – sich eine gute Partnerbeziehung buchstäblich zu „verdienen“.

Sie schreiben: Der richtige Partner ist eine Illusion. Was meinen Sie damit? Gibt es mehr als einen? Oder bilde ich mir nur ein, dass da draußen jemand wäre, der mit mir durchs Leben gehen möchte?

Viele Menschen suchen – auch wenn ihnen dies oft nicht bewusst ist – ihren „Klon“ im anderen Geschlecht. Dadurch aber, dass das andere Geschlecht einen anderen Hormonstatus aufweist und jeder eine andere Prägung in der Kindheit erfahren hat, gibt es diesen Traumpartner mit demselben Lebensstil, denselben Glaubenshaltungen und Vorstellungen, denselben Vorlieben und Abneigungen, demselben Geschmack etc. nicht.

Ferner: Das Bild des Idealpartners ist das Komplementärbild zu den Defiziten im eigenen Persönlichkeitssystem. Je mehr jemand versucht, seine Defizite in Fähigkeiten zu verwandeln, desto mehr verschwindet dieses Idealbild. Der Betreffende ist dann fähig, sich mit den neu erworbenen Fähigkeiten mit seinem „Übungspartner“, der viel leichter als der Idealpartner zu finden ist, auszutauschen. Vorher war eine solche Partnerschaft, in der man sich gegenseitig bereichert, gar nicht möglich.

Kurzum: Der richtige und passende Partner ist der, mit dem spezifische Lernprozesse absolviert werden können und der einen in der Persönlichkeitsentwicklung weiterbringt.

Das Unterbewusste steuert uns also viel mehr als wir modernen Menschen zugeben möchten?

Das Unbewusste beeinflusst – wie schon Sigmund Freud festgestellt hat – zu 95% unser Fühlen, Denken, Handeln und Verhalten. Es gibt vier Arten des Unbewussten: Das animalische, das kollektive, das persönliche und das individuelle Unbewusste.

Das animalische Unbewusste, das aufgrund der Verleugnung und Verdrängung der animalischen Natur des Menschen entstanden ist, beeinflusst zu einem großen Teil unser Leben. Es gibt daran nichts zu rütteln: Der Mensch ist ein Säugetier und wird als solches – mehr als ihm lieb ist – auch von den Trieben und Naturprogrammen dieses Säugetieres geleitet. Man denke nur an den Reviertrieb oder an den Nesttrieb.

Das kollektive Unbewusste enthält nach C.G. Jung die Gesamtheit aller Grundstrukturen menschlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster als Niederschlag allgemein-menschlicher Erfahrungen.

Das persönliche Unbewusste wird von Eltern, Umwelt, Kultur und Zeitepoche geprägt. Diese Prägung wirkt so stark, dass der Einzelne meist in seinem Leben nur diese Prägung wie in einem Film abspult. Ohne sich dessen bewusst zu sein, schafft man es immer wieder, dieselben Gefühle zu entwickeln oder dieselbe Stimmungs- lage zu erzeugen wie damals als Kind. Auch Vater, Mutter, Bruder oder Schwester erscheinen einem aufgrund von unbewusster „Übertragung“ in Form von Partner, Arbeitskollege oder Chef wieder.

Erst beim individuellen Unbewussten haben wir eine Chance, aus dem alten Drehbuch auszusteigen und ein bewussteres Leben zu führen.

Dazu ist es allerdings erforderlich, Illusionen und überkommene Glaubenshaltungen zu erkennen und den gesunden Menschenverstand (Logos) und die wahre Vernunft, die in jedem Menschen angelegt sind, einzuschalten. Dadurch wird die Realität erkennbar. Auf dem Boden dieser Realität lassen sich dann die eigene und die gemeinsame Zukunft aufbauen.

Wie kann ich bewusst dagegen steuern, beispielsweise wenn mich mein animalisches Unterbewusste schnell aggressiv macht? Wie als Einzelperson und wie als Paar?

Am besten ist es, die Aggressionen in einer konstruktiven Form abzuleiten, etwa im sportlichen Wettkampf oder in einer Pionierarbeit.

In einer Paarbeziehung hingegen ist es wichtig zu erkennen, dass hinter der Aggression, der Wut oder dem Ärger fast immer eine alte seelische Wunde liegt oder ein ungestilltes Bedürfnis. Indem man hierfür Verständnis zeigt oder mithilft, das zugrundeliegende Bedürfnis des Partners zu stillen, wird die Situation meist schnell entschärft.

Der Aufbau einer Beziehung ist schwierig. Viele Paare geben frühzeitig auf. Gibt es Grundregeln, die für jedes Paar gelten?

Das Geheimrezept für eine gute Beziehung lautet:

Jeder sorgt dafür, dass es ihm und seinem Partner gut geht.

Auf diese Weise sorgen also immer gleich zwei Menschen dafür, dass es einem gut geht! Was soll da noch schiefgehen?

Zwei weitere Grundregeln, die ich auch in meinen Crash-Kursen zum Beziehungsführerschein immer besonders betone, sind:
1)  Jeder der beiden Partner hat das Recht, sich auf seine eigene Weise (etwa durch eine Sportart oder ein Hobby) auszugleichen! Nur dadurch ist gewährleistet, dass der Partner auch ein Eigenleben führen darf, das sich zu guter Letzt wieder günstig auf die bestehende Zweierbeziehung auswirkt.
2)  Es ist wichtig, sich in das jeweils andere Geschlecht einzufühlen und Verständnis für dessen Eigenarten aufzubringen. Das Weibliche (Minuspol) und das Männliche (Pluspol) ergeben zusammen eine Ganzheit. Es geht also nichts ohne Frauen und es geht nichts ohne Männer! Ein Pol allein kann nichts bewirken, nur beide Pole zusammen ergeben – ähnlich wie bei der Elektrizität – Energie. Es kommt dabei etwas heraus, es entsteht etwas, das man alleine nicht zustande gebracht hätte, zum Beispiel eine gemeinsame Intimität, eine erotische Stimmung, leidenschaftliche Nächte, Umsorgtsein oder geistige Erkenntnisse.

Die Arbeit von C.G. Jung kennen viele Jüngere nur vom Hörensagen. Wie können junge Paare heute von C.G. Jung profitieren?

Wichtig wäre in diesem Zusammenhang, dass erkannt wird, dass in der Psyche eines jeden Menschen verschiedene Persönlichkeitsanteile (von C.G. Jung „Archetypen“ genannt) angelegt sind, die zusammen ein Team bilden. So wohnen in jeder Frau z. B. die Madonna, die Hure, die Mutter, die Muse, die Lady, die Amazone … Und in jedem Mann z. B. der Held, der erotische Verführer, der Vater, der Manager, der Gentleman, der Erneuerer …

Die Frage ist immer: Welche Persönlichkeitsanteile werden in einer Beziehung aktiviert und welche kommen darin nicht zum Tragen?

Außerdem ist es günstig, wenn jeder seine Maske, seine nur aufgesetzte Fassade, ablegt und dem anderen so begegnet, wie er wirklich ist. Erst dadurch entstehen echte Intimität und Vertrautheit. Jeder hat Verständnis für das Gewordensein des anderen. Der Weg führt vom unbewussten Paar, das den unbewussten Bestrebungen weitgehend unterworfen ist, zum bewussten Paar, das sich den unbewussten Mechanismen nicht verschließt, sondern sich diese gegenseitig bewusst macht. Das bewusste Paar lebt nach dem Spruch von Hafis:

„Wenn jeder alles von dem anderen wüsste, es würde jeder gern und leicht verzeihen,
es gäbe keinen Stolz mehr, keinen Hochmut.“

Hier lesen Sie einen Buchauszug aus Jeder hat die Beziehung, die er verdient von Hermann Meyer

Hermann Meyer
Jeder hat die Beziehung, die er verdient
Wie Liebe gelingt
ISBN: 978-3-453-60350-9
€ 8,99 [D] | € 9,30 [A] | CHF 12,50
Verlag: Heyne

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