Offener Brief an den Mann, dem ich zu viele Lügen erzählte

Eigentlich wollte ich nie so viel Zeit mit dir verbringen. Ich wollte eigentlich nie ein zweites Date mit dir. Eigentlich hätte mir das erste gereicht und danach hätten wir einfach Freunde bleiben können. Eigentlich wollte ich die Wochenenden immer in den Clubs der Stadt durchtanzen, wollte mit dem tobenden Bass im Herzen in der tanzenden Menschenmenge untergehen. Eigentlich wollte ich nie mit dir in den Norden fahren, wollte lieber mit meinen Freundinnen in den Süden, mich von der Sonne küssen und nicht vom Regen schaudern lassen.

Eigentlich wollte ich dir nie so nah kommen. Eigentlich wollte ich dich gar nicht küssen. Ich wollte auch lieber mit einer Tasse Kaffee als einem Morgenkuss aufwachen. Eigentlich wollte ich nicht, dass du mir in der Öffentlichkeit auf die Stirn küsst, meine Hand mit Küssen bedeckst und meinen Speichel mit dem deinen zusammenführst. Eigentlich wollte ich auch gar nicht den einzig freien Sitzplatz in der Bahn mit dir teilen. Ich wollte auch gar nicht deine Hand auf meinem Schenkel fühlen, ich wollte auch gar nicht deine nackte Haut auf meiner spüren. Eigentlich wollte ich gar nicht mit dir schlafen.

Eigentlich wollte ich diese ganzen Liebeleien gar nicht. Ich wollte gar nicht mit dir Valentinstag feiern. Ich wollte gar nicht eine „Kuschelbank für Verliebte“ im Kino mit dir teilen. Eigentlich wollte ich gar keine roten Rosen, sondern weiße. Eigentlich wollte ich auch gar kein Candle-Light-Dinner am See. Ich hätte viel lieber das Burger Dinner bei McDonalds am Schalter genommen. Und eigentlich habe ich unseren Ring auch mit Absicht ins Klo geworfen, anstatt ihn „aus Versehen in den Abfluss fallen gelassen zu haben“. Eigentlich stand ich auch gar nicht auf deinen ersten selbst gebackenen Kuchen für mich, den selbst die Herzform nicht mehr retten konnte. Und eigentlich war ich noch nie ein Fan von Liebesbriefen und schnulzigen Liebesnachrichten.

Eigentlich war ich nie in dich verliebt. Eigentlich hatte ich nie diese Schmetterlinge im Bauch,wenn ich dich berührte und von denen du immer schwärmtest. Eigentlich war da auch nie dieses Ameisenrennen in meinem Körper, wenn ich deine Stimme hörte oder dich ansah. Eigentlich wurde ich auch nie rot, wenn ich von dir erzählte und eigentlich kreuzte ich bei jedem „Ich liebe dich“ die Finger hinterm Rücken. Ich hatte dich nie mit „Schatz“ oder „Liebling“ in meinem Handy eingespeichert und ein Herz stand auch nie dahinter. Eigentlich war das Lebkuchenherz, auf dem „Ich liebe dich“ stand, auch nur ein Geschenk von meiner Mama an mich und kein Geschenk von mir an dich. Eigentlich war der Brief zu Weihnachten und die Schokolade zum Valentinstag auch nicht mehr als ein „Weil-man-das-eben-so-macht“.


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