Mehr romantische Liebe, bitte!

Kalkulierte Partnersuche oder gefunden werden von der Liebe? Was uns antreibt und was am Ende zählt. Ein Plädoyer von beziehungsweise-Autorin Christiane Lénard.

Lohnt sich nicht

Also stellen wir uns den wirklich großen Liebesgeschichten entschlossen pragmatisch entgegen. Reden uns ein, die oder der ist nicht gut für uns, bremst unsere Entwicklung, bringt uns nicht weiter, schmiert die Brote nicht wie Mama, hat nicht das handwerkliche Talent von Papa, spielt nicht Geige wie die Ex und sieht nicht aus wie all die künstlich getunten Instagram Filter. Lohnt sich nicht. So abgewogen und ausgerechnet wird Beziehung (von Liebe sprechen wir schon gar nicht mehr) ein reines Rechenmodell. Einsatz und Ertrag müssen stimmen. Leidenschaft sieht anders aus.

Die Leidenschaft stirbt beim Kreuzchen zählen

Unsere gnadenlose Selbstbezogenheit lässt uns nichts mehr riskieren. Mit dem falschen Partner könnte unser optimiertes Selbst Schaden nehmen. Wer leidenschaftlich liebt ist verletzbar, wer sich einlässt angreifbar. Wer aber von der Liebe gefunden werden will, kann jede Checkliste stecken lassen. Sie entzieht sich unserer Kontrolle. Wir stürzen hinein und werden aufgesogen. Diese Liebe verträgt keine Selbstoptimierung. Die Leidenschaft bleibt auf der Strecke wenn wir Kreuzchen zählen. Das Fallenlassen gelingt nicht beim Listen abhaken.  

Und trotzdem, tief in unseren Herzen tragen wir sie in uns. Die Vorstellung der romantischen Liebe, die uns findet. Und wir tun gut daran. Denn sie aufzugeben wäre das größere Scheitern. Es ist der Tod der Idee der berauschenden leidenschaftlichen Liebe, wenn die zwischenmenschliche Beziehung zur schnöden Mischkalkulation zusammenschmilzt. 

Im Grunde spüren wir, dass am Ende doch nur das wahre Beteiligtsein in der Liebe bleibt. Es ist das, was uns mit Sinn erfüllt. Am Lebensabend interessiert deine auf Selbstperfektion ausgerichtete Beziehungsbastelei keine Sau mehr. Dich selbst am Wenigsten. 

Onlinedating und romantische Liebe schließen sich nicht aus

Selbst in Zeiten des Online Datings und Matchings wäre es nicht schwer, die inneren Kriteriumskataloge zuzuklappen und sich einfach mal treiben zu lassen. Aber dazu braucht es Ehrlichkeit (vor allem sich selbst gegenüber) und Mut. Mut, mit jemanden anzubandeln, der die Brötchen eben anders backt, als du es kennst und erwartest. Vielleicht schmecken sie ja trotzdem. Und vielleicht sogar besser.

Warum eigentlich bildest du dir ein, das ultimative Rezept zu kennen? Demut und Offenheit bringen dich an dieser Stelle sehr viel weiter als Selbstgefälligkeit. Und wenn es dir am Ende doch nicht schmeckt, dann ist genau dieses Scheitern etwas, das dich wirklich weiterbringt. Und es hätte noch etwas Gutes: Es ist viel weniger allein. 

Also lasst uns weiter daran festhalten, weil echtes Berührtsein eben doch mehr fetzt als nach rechts und links zu wischen.


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