Die Schüchternheit der Liebe

Viele Menschen verwechseln Liebe mit dem Erreichen eines paradiesischen Zustands. Liebe zu erleben bedeute, im Paradies zu leben. Aber was, wenn sie dann doch einmal wehtut? Wenn sie wie Schmirgelpapier über alte Wunden streicht? Wenn sie weniger sicher ist, als anfangs gedacht? Wenn sie sich als fragil und zeitweise bedroht erweist? Das ist dann nicht mehr das Paradies, aber es ist immer noch Liebe. Sie ist ein Idealzustand, der nicht perfekt ist. Manchmal vielleicht doch, aber eben nicht dauerhaft. Und das ist vollkommen okay so.

Liebe gibt uns, ohne etwas zu fordern. Und wenn wir wirklich lieben, dann fordern auch wir nichts von unserem Gegenüber, zumindest nicht um der Liebe willen. Wer fordert, hat ein Bedürfnis – aber reife Liebe dient keinem Zweck mehr. Sie genügt sich selbst. Sie ist kein Werkzeug für andere Lebensziele.

Ich finde es schön, dass sich die Liebe nicht immer extrovertiert gibt, ständig auf Tischen tanzt. Ihre zeitweise Zurückhaltung macht sie geheimnisvoll. Im Englischen gibt es dafür ein schönes Wort, das schwer zu übersetzen ist: elusive. Es meint in etwa: flüchtig, ausweichend. Aber auch: schwer fassbar, undefinierbar. Etwas, das sich unseren Begriffen entzieht, das sich nur umschreiben – und leben – lässt.


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