Wir wollen doch ein Wir werden

In einem Wir zu verschmelzen ist der Traum vieler Paare. Doch das Aufgeben des Ich in einer Beziehung birgt eine große Gefahr. Gastautor und Therapeut Volker Rupp über die Notwendigkeit von Nähe und Distanz

Ein Paar lernte sich auf einer Gebirgswanderung kennen. Er war ein totaler Wanderenthusiast und schon als kleiner Junge mit seinem Vater in den Bergen unterwegs. Sie begleitete an diesem Tag einen Cousin, der gerne gelegentlich wanderte und sie hatte ganz einfach nichts anderes vor.

Jedenfalls war es bei ihnen Liebe auf den ersten Blick, als sie sich während einer Pause auf einer Almhütte kennenlernten – ihr gefiel seine jungenhafte Begeisterung, sein Temperament und seine Leidenschaft für die Berge und generell die Natur. Ihm gefiel diese reizende, sehr weibliche und offene Frau, die scheinbar sportlich war und offensichtlich auch noch seine Leidenschaft für die Bergwelt der Alpen teilte.

Sie wurden recht schnell ein Paar und schon ein Jahr später läuteten die Hochzeitsglocken. Jeden Samstag, manchmal auch das ganze Wochenende, verbrachten sie in den Bergen und das wurde ihre feste Tradition. War es doch ihr gemeinsames Hobby und die Welt, in der sie sich das erste Mal gesehen hatten und sich Hals über Kopf ineinander verliebten! Andere Hobbies entwickelten sich aus Zeit- und Kostengründen erst gar nicht und so hatten sie ein verbindendes Thema, das sie als Paar – wie es schien – ausmachte.

Unser Pärchen hatte recht wenig offen ausgetragene Konflikte, weil sie jeweils eine Kindheit verbracht hatten, die nicht ganz optimal verlaufen war. So vermieden sie Streit und wenn es dann doch einmal krachte, empfanden sie die Auseinandersetzung als extrem belastend.

Mit der Zeit wurden Themen immer seltener offen angesprochen und kritische Punkte vor allem vermieden. Bis es eines Tages aus irgendeiner „Nichtigkeit“ heraus dann doch knallte. Und sie, die immer so belastbar, konfliktscheu und zurückhaltend in ihrem Verhalten war, packte so richtig aus.

Alle gemeinsamen Themen kamen zur Sprache, vom Hausputz über die Ordnung und den Mülleimer bis zur Wanderleidenschaft und ihren allwöchentlichen Exkursionen. Es stellte sich nun heraus, dass sie einen regelrechten Horror vor ihren gemeinsamen Samstagen hatte.

Sie konnte diese „Herumgerenne“, wie sie es nannte, nicht mehr ertragen. Es war ihr schlicht viel zu viel geworden und sie sehnte sich nach einem anderen gemeinsamen Hobby oder sogar nach getrennten Hobbies, denen jeder für sich alleine nachging.

Der Mann war schrecklich vor den Kopf gestoßen. Hatte er doch all die Jahre geglaubt, dass er seine Frau, genauso wie sich selbst, mit dem gemeinsamen Hobby glücklich machen würde!


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