Hochsensibel: Angeboren oder erworben?

Hochsensibilität können wir akzeptieren lernen und einen förderlichen Umgang mit ihr einüben. Um es vorwegzunehmen: Es gibt gutes und erfülltes Leben auch mit dieser Wesensart.

Ergänzend ist festzuhalten, dass sich besonders auch auf dem Hintergrund traumatischer Erlebnisse (Gewalt, Misshandlung, Missbrauch) eine Hochsensibilität ausbilden kann, wobei auch Bindungsunsicherheit bereits traumatische Qualität haben kann. Wir wissen als Therapeuten und Therapeutinnen auch, dass zum Erscheinungsbild der ADHS, der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, eine stark ausgeprägte Empfindsamkeit gehört. Diese kann jedoch nicht mit Hochsensibilität gleichgesetzt werden. Hochsensible weisen die typischen Merkmale, die zur ADHS gehören (Hyperaktivität, Impulsivität), nicht auf. ADHS-Betroffenen fehlt im Vergleich zu ihnen die Tiefe emotionalen Erlebens und die Nachhaltigkeit in der Verarbeitung von Eindrücken. Auch von autistisch gestörten Menschen wissen wir, dass sie sehr stark auf Sinnesreize reagieren und dadurch überfordert werden können. Im Gegensatz zu Hochsensiblen besteht aber eine deutliche Empathiestörung. Sie sind kaum in der Lage, emotionale Resonanz zu geben.

Eine hohe Empfindlichkeit und Reizbarkeit beobachten wir bei narzisstisch gestörten Menschen. Sie sind leicht und nachhaltig kränkbar. Aber diese ihnen eignende Seite hat wiederum nichts mit Hochsensibilität zu tun, denn das Einfühlungsvermögen, wenn es um das innere Ergehen, um Verletzungen oder Kränkungen anderer Menschen geht, ist nicht vorhanden. Es geht um ausschließliche, übertriebene Selbstbezogenheit, während der hochsensible Mensch ein Mitfühlender ist und teilnimmt an dem, was andere Menschen betrifft. Er ist im Gegensatz zum Narzissten durchaus der Selbstkritik fähig.

Zwischen Begabung und Verletzlichkeit
Antje Sabine Naegeli
ISBN: 978-3-451-60009-8
Verlag Herder


Weitere interessante Beiträge