Als er dünn wurde, fing ich an, an unserer Beziehung zu zweifeln

Er soll meine Kurven heiß finden

Stattdessen wurde es schlimmer mit Stefans Kontrollwahn, er entwickelte sich zum Fanatiker, vor allem auch deshalb, weil er überall Komplimente hört. „Mensch, siehst Du toll aus“, sagen die Leute. Das feuert ihn zu weiteren sportlichen Höchstleistungen an, bremst seinen Appetit. Schwelgen, das gibt es nicht mehr. Er isst nach einem strengen Ernährungsplan. Nach wie vor hat er Lust auf seine Frau, sein Begehren ist eher stärker geworden, sagt Anna. Sie denkt, dass er sich selbst sexy fühlt und deshalb auch viel Lust auf Sex hat.

Doch sie fühlt sich nicht mehr wohl mit ihm. „Ich habe angefangen, mich für meine Figur zu schämen, ich sah mich plötzlich mit den Augen von Stefan. Ich gehe davon aus, dass er mich nicht gar nicht mehr attraktiv finden kann, wenn er mittlerweile ein Sixpack hat und ich einen kleinen weichen Bauch. Es kann sein, dass Stefan mich weiter begehrt, weil er meine Seele liebt, aber ich bin unsicher. Ich will auch nicht, dass er mit mir schlafen will, weil ich ihm seelisch gefalle, er soll meine Kurven heiß finden.

Ich spüre täglich, dass er mit einer gewissen Abschätzigkeit meine Art zu essen beobachtet. Nachdem er anfangs versucht hat, mich zu verändern, lässt er das jetzt. Stattdessen schaut er mich manchmal an als sei ich ein Alien. Er meint, ich bilde mir das ein. Wir kochen jetzt meistens getrennt. Wie entsetzlich! Oder ich bereite zum Beispiel Fisch zu, Zanderfilet, und er nimmt nur den Fisch zu sich, dazu vielleicht eine Handvoll Salatblätter. An Kohlenhydrate ist nicht zu denken.

Anna findet einen Mann, der wie ein Spatz isst, unmännlich

Ich muss gestehen, dass ich Stefan nicht mehr sonderlich erotisch finde. Wenn ich ihn sehe, wie er isst, wie ein Spatz, törnt mich das ab. Ich finde ihn unmännlich. Das ist das Tragische an der Sache, Stefan denkt, dass er immer jünger wird und wirkt und unwiderstehlich ist, und ich finde ihn unmännlich und unsexy. Natürlich frage ich mich, ob er anderen Frauen gefallen will. Wenn er jetzt noch fremdgeht, ist für mich der Ofen aus. Ich bin nicht mehr gern mit ihm zusammen, aber der Gedanke an den Stefan, den ich geheiratet habe, lässt mich bleiben und hoffen.

Wir sind nicht mehr ein Herz und eine Seele, weil wir nicht mehr ein Leib und eine Seele sind. Es ist mein sehnlichster Wunsch, dass dieser Albtraum wirklich eine Phase ist, dass sie vorübergeht oder sich in eine sehr gemäßigte Form verwandelt. Ich habe mir innerlich eine Frist gesetzt: ein Jahr. Ich schaue mir das noch ein Jahr an, dann gehe ich. Der Gedanke an eine Trennung macht mich fertig, ich liebe diesen Mann, wir waren so glücklich. Doch wenn es Stefan gar nicht mehr gibt, gibt es auch diese Liebe nicht mehr. Mit den Kilos ist alles verschwunden, was ihn ausgemacht hat, seine Sinnlichkeit, seine Entspanntheit, sein Humor, seine Lässigkeit. Er ist jetzt verbissen, Verbissenheit beherrscht ihn und unser Zusammenleben.

Ich habe Stefan geraten, zu einem Therapeuten zu gehen, doch das kommt auch nicht in Frage für ihn. Weder sei er alt und habe eine Midlife-Crisis, noch sei er psychisch krank. Meine beste Freundin hat mir eine kluge Frage gestellt, sie wollte wissen, ob ich mich von Stefan allein gelassen fühle. Das nicht, ich fühle mich von ihm verraten, er hat uns verraten, und deshalb würde ich ihn verlassen. Allein die Vorstellung, ohne Stefan sein zu müssen, tut sehr weh, das ist der größte Schmerz meines Lebens. Aber es ist logisch, dass eine Ehe in der es solche Wesensveränderungen gibt, keinen Bestand haben kann. Jeder verändert sich im Laufe der Zeit, aber als wir uns die Ehe versprochen haben, war keine Rede davon, dass einer von uns ein komplett anderer Mensch wird. Würde ich das akzeptieren, würde ich mich selbst aufgeben. Das würde weder mich glücklich machen noch unsere Beziehung retten.“


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