Erziehen, ohne laut zu werden – so kann es klappen

Zur Vorbereitung: Die Ja-Umgebung

Wir machen uns das Leben deutlich leichter, wenn wir eine Ja-Umgebung (nach Scott Noelle) schaffen, anstatt ständig »Nein!« zu rufen. Für kleinere Kinder räumen wir alles weg, was gefährlich ist, leicht kaputtgeht oder generell nicht angefasst werden soll, sodass es außerhalb ihrer Reichweite (und im Idealfall auch Sichtweite) ist. Das erspart uns eine Menge Konflikte. Alles? Ja, wenn Sie sich das Leben einfach machen wollen, wirklich alles. (…)
Für größere Kinder gilt, dass sie nicht tun, was wir sagen, sondern tun, was wir tun. Wenn wir nicht wollen, dass die Kinder industriell gefertigte Snacks zu sich nehmen, kaufen wir keine. (…) Wenn die Kinder nicht ständig an ihren Smartphones sitzen sollen, gibt es zum Beispiel im Flur einen Korb, in den wir alle Smartphones hineinlegen, wenn wir zu Hause sind. (…)

Spielen löst Spannung

Im Familienleben entscheiden also am Ende häufig die Erwachsenen. Bindungsorientierte, auf AUGENHÖHE agierende Eltern versuchen oft, ihre Rolle als Leitwölfe abzumildern, indem sie die Kinder vieles mitentscheiden lassen: Willst du die blaue Hose oder die rote? Erdbeermarmelade oder Honig? Lieber zu Oma oder zum Babysitter? Das klappt meistens – bis etwa nachmittags um fünf. Dann sind vor allem kleine Kinder müde und erschöpft, alles ist falsch und noch mehr Fragen führen in erster Linie zu noch mehr Frust. (…) Wenn die Kinder nicht mehr mitmachen, verlegen sich manche Eltern darauf, mit ihnen zu diskutieren: »Warum willst du jetzt nicht Zähne putzen? Guck mal, so eine schöne Zahnbürste!« Oder sie versuchen es mit Erklärungen: »Im Auto ist nun mal Anschnallpflicht, schau, wenn wir einen Unfall haben passiert Folgendes …« Wir bieten ALTERNATIVEN. Wir benennen Gefühle – unsere und die des Kindes, die wir sehen. Das ist prima und wird ja auch von Forschern und diesem Buch hier empfohlen. Oft klappt es auch wirklich gut. Ist das Kind fit und wach, können es sehr gute Gespräche werden. Hat das Kind aber heute schon zu oft kooperieren müssen, ist es müde oder hungrig, hat es eine Autonomiephase oder ist die Situation festgefahren, kommt es meistens zum Konflikt. Solche Konflikte sind unausweichlich und gehören dazu. (…)

Was kann man tun? Eine Möglichkeit ist, spielerisch mit den Konflikten umzugehen, die oft aus Machtgefälle, Interessensunterschieden oder Frust entstehen. Aletha Solter schreibt darüber in ihrem Buch »Spielen schafft Nähe, Nähe löst Konflikte«: »Tatsache ist, dass sich die meisten Erziehungsprobleme darauf zurückführen lassen, dass Kinder ein Gefühl der Isolation, Machtlosigkeit, Unsicherheit oder Ängste entwickeln. (…) Durch LACHEN UND SPIELEN mit Ihrem Kind lassen sich viele Erziehungsprobleme lösen.«

In festgefahrenen Situationen und bei Streitereien sollten wir immer daran denken: Spielen ist magisch!

(…)

Lösungsideen für Klassiker

(…) Der kleine Umweg über ein Spiel lohnt sich immer dann, wenn sich eine Situation FESTGEFAHREN hat, wenn das Kooperationskontingent der Kinder nachmittags um fünf erschöpft ist oder wir einfach selbst gerade Energie haben für ein bisschen Machtgefälle-Prävention. Auf den folgenden Seiten finden Sie ein paar Ideen für die klassischen Konfliktsituationen.

Anschnallen im Autositz

(…) Viele Kleinkinder haben für diese Regel wenig Verständnis. Sie haben in diesem Fall – wie so oft – auch grundsätzlich recht: Autofahren ist keine artgerechte Fortbewegungsart. In einer leblosen Schale aus Hartplastik und Styropor festgesetzt zu werden und auf unbestimmte Zeit auf eine graue Polsterung zu schauen, ist evolutionsbiologisch gesehen eine sehr, sehr neue Situation. Während jedes Zweijährige sofort kapiert, dass man sich auf einem Pferd festhalten muss, ist die Gefahr im Auto zudem sehr abstrakt. Manche Kinder schreien und toben daher im Auto, bis sie heiser und ihre Eltern mit den Nerven am Ende sind.

Lösungswege können sein:

  • EINEN PARTNER ETABLIEREN:
    »Guck mal, das Plüschtier (der Außerirdische, der Feuerwehrmann Sam) will sich auch anschnallen. Du darfst ihn anschnallen.«
  • VERSTÄRKUNG EINHOLEN:
    »Das Plüschtier möchte auch, dass du dich anschnallst.«
  • DAS KIND SICH SELBST ANSCHNALLEN LASSEN:
    Das dauert, aber hier gilt: Zeit verlieren, um Zeit zu gewinnen.
  • NONSENSSPIEL:
    »Hier schnallt sich keiner an! Auf gar keinen Fall! Wir wollen sowieso nicht losfahren! Wirst du wohl sofort den Gurt loslassen?«

Wenn sich die Situation schon sehr festgefahren hat, empfehlen sich Spiele, bei denen wir uns wie nebenbei anschnallen. Es geht also eigentlich darum, beispielsweise einen Brand zu löschen, weil wir der Löschzug sind – und während wir das spielen, müssen wir uns natürlich alle anschnallen. Das legt den Fokus zurück auf den gemeinsamen Spaß und weg vom Konfliktpunkt.

Zähne putzen

Lassen Sie sich mal von Ihrem Kind oder sogar Ihrem Partner die Zähne putzen. Wie finden Sie das? Wie angenehm ist das? Wie mächtig oder ohnmächtig fühlen Sie sich? Zähneputzen wird schnell zum Ein- und Übergriff und gerät in vielen Familien schnell zum Konflikt. Auch hier gibt es Eltern, die einfach »durchgreifen«, und es gibt Kinder, die immer kooperieren. Mit besonders WILLENSSTARKEN Kindern können wir diesen Konflikt jedoch nur verlieren. Also ist es klüger, ihn gar nicht erst eskalieren zu lassen, sondern etwas Zeit und Energie in die BINDUNG zu investieren. Wir können natürlich erst die klassischen Tipps ausprobieren: erklären, vormachen, eine schöne elektrische Zahnbürste kaufen, Bücher zum Thema ansehen, Tierzähne putzen, Tiere jagen, an anderen Orten putzen, von anderen Menschen putzen lassen, beim Zähneputzen vorlesen etc.

Aus Spielesicht ist zu ergänzen:

  • GEMEINSAM EIN ZAHNPUTZLIED SINGEN:
    Man kann das Lied beliebig abwandeln oder umdichten.
  • BAKTERIEN JAGEN:
    »Warte, gleich hab ich sie! Verflixt, jetzt sind sie oben. Und jetzt unten. Aber jetzt! Ha – gewonnen!«
  • NONSENS-ESSENSRESTE FINDEN:
    »Aaaah, heute gab es Spaghetti und … warte … Kröteneier? Gab es Kröteneier? Lass mich noch mal gucken … oh nein, Schneckensalat!«
  • ZÄHNE PUTZEN VERBIETEN:
    Und dann empört sein, wenn das Kind doch putzt.
  • SICH VOM KIND DIE ZÄHNE PUTZEN LASSEN:
    Und dabei die ganze Zeit meckern.

Wenn sich eine Situation im Bad generell festgefahren hat, hilft nur eines: loslassen. Kein Kind stirbt, wenn es sich mal ein paar Tage lang nicht die Zähne putzt oder vier Wochen nicht wäscht. Ja, da steht wirklich »vier Wochen«! Passiert nichts – versprochen!

Lassen Sie los. Lassen Sie das Kind gewähren. Es muss Gras über die Sache wachsen. Und das wächst nun mal nicht schneller, wenn wir daran ziehen.

Wir können erst dann wieder in den Kontakt mit dem strittigen Thema gehen, wenn die Situation sich beruhigt hat. Je weniger Druck wir vorher gemacht haben und jetzt machen, desto eher wird Kooperation möglich sein. Und um dann wieder anzufangen, eignet sich am besten ein Spiel als Einstieg.


Weitere interessante Beiträge