Unsicherheit zieht Unsicherheit an

Niemanden habe ich gesehen, der mir hinterhersah, weil ich andauernd in die Ferne blickte. Ich wünschte mir so sehr jemand zu sein, der so viel Selbstsicherheit ausstrahlte wie du. Ich hoffte, von deiner Stärke etwas abhaben zu können. Du wirktest so zufrieden und ich glaubte, das käme daher, weil alle dich bewunderten. Also folgerte ich daraus, würde ich mir mehr Mühe geben, im Gym, mit meinen Verführungskünsten, dann könnte ich Stärke daraus ziehen so wie du. Aber das ist Unsinn. Stärke muss immer von einem selbst kommen. Denn geborgte Stärke brauchen nur unsichere Menschen. Weißt du, ich fürchte, du bist am Ende so unsicher wie ich. Obwohl, nein, nach gestern vermute ich, ich bin stärker geworden in den vergangenen Jahren und du schwächer.

Du bist immer noch ein unglaublich attraktiver Mann. Alle blicken dir hinterher und die ersten grauen Haare im Bart sehen super aus. Aber dein Fanclub: Oh je. Eine Stunde lang hing ein Typ an dir, der sich so viel Mut angetrunken hatte, dich anzusprechen, dass er damit gar nie wieder aufhören wollte. Du wurdest ihn nicht los. Immer wieder hast zu mir gesehen, verunsichert, leicht panisch – aber, wenn du das nächste Mal Hilfe benötigst, dann habe doch die Eier in der Hose und bitte auch um Hilfe. Was hattest du mir damals doch gesagt: „Du musst dir schon nehmen, was du willst. Steh zu deinen Wünschen!“

Damit wolltest du damals ausdrücken, dass ich kleines Licht schon etwas mehr investieren müsste, um die Trophäe zu bekommen. Nun, dein Fan investierte als hätte er diese Lektion gelernt. Es war aber kein schöner Anblick. Du kamst nicht weiter. Ich hatte keine Freude zuzusehen, wie du unter dem aufdringlichen Gegrabsche immer hilfloser wurdest und dich schließlich Richtung Toiletten gekämpft hast. Als du zurückkamst, wirktest du entspannter, gelöster – kurz, du warst „High as a Kite“, wie die Amerikaner sagen.

Du tatest, was du immer tatest: Du hast dich auf die Tanzfläche geschmissen, das T-Shirt ausgezogen und die Musik, und was immer du noch genommen hattest, ihre Arbeit machen lassen. Nach wenigen Minuten umkreisten dich die ersten Jäger, aber – das war neu – sie ließen wieder von dir ab. Ich denke, es waren deine Augen, die sie verschreckten. Da sah ich keine Lebensfreude. Eher Qual, etwas abspulen zu müssen, was du vielleicht längst über bist.


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