So nah und doch so fern

Manchmal ist jemanden gehen zu lassen der größte Liebesbeweis, den man erbringen kann. Unsere anonyme Autorin erzählt die Geschichte ihrer „Nichtbeziehung“

Es war letzten Herbst, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben. Wir kannten uns nicht, hatten aber fast drei Monate jeden Tag geschrieben. Irgendwie kannten wir uns wohl also doch. Im Nachhinein weiß ich, das war das „Kennen“, das er weiterverfolgt hätte, wenn ich nicht nach einem Treffen gefragt hätte. Die Neugierde darüber, wer sich hinter den kurzen und langen, lustigen und ernsten Texten verbarg, besiegte wohl seine Angst vor einer „echten Begegnung“ und wir trafen uns an einem Dienstagabend in einer schönen Bar, die er ausgewählt hatte.

Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, in dem ich ihn das erste Mal sah. Es war eine Mischung aus Freude und Enttäuschung. Freude darüber, ihn endlich zu sehen. Enttäuschung darüber, dass ich ihn mir anders ausgemalt hatte. Eine komische Mischung. Ich hatte ihn mir größer, attraktiver und vor allem mit anderen Haaren vorgestellt. Dennoch verflog sofort jedes negative Gefühl, nachdem er mich begrüßte. Er zog mich in seinen Bann und hatte eine Anziehung auf mich, die ich mir bis heute nicht erklären kann. Wir verbrachten einen schönen Abend miteinander und hatten beide nicht das Bedürfnis, dass er enden sollte. Wir tranken, wir lachten, wir verliebten uns.

Wir trafen uns wieder. Er ließ mich in sein Leben − aber nie ganz. Es ging nur ein halbes Jahr, doch es fühlte sich an wie unendlich. So intensiv, leidenschaftlich und dramatisch zugleich war diese Zeit.

Doch die Verabredungen und Treffen gingen immer von mir aus. Natürlich – so hatte er ja keine Verantwortung für die Entwicklung unserer Beziehung beziehungsweise unserer „Nicht-Beziehung“.

Bei unserem zweiten Treffen landeten wir gleich im Bett. Vielleicht war das zu früh, vielleicht war das der Punkt, an dem ich hätte einlenken sollen. Bedingungen stellen. Ihn fragen, was er mir zu geben hat, wenn ich mich ihm vollkommen öffne.

Mit ihm zu schlafen, war auf jeden Fall wunderschön. Noch nie wusste jemand so intuitiv und genau, was ich möchte und was ich brauche. Er konnte mir in diesen Momenten das geben, was mir zuvor noch keiner geben konnte.


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