Ich will nicht dein Zuchthengst und Versorger sein

Sie wusste genau, was sie will und verfolgte ihre Pläne mit allen Mitteln. Unser anonymer Leser erzählt von seiner sechsjährigen Beziehung, in der er in die Rolle eines „Zuchthengsts“ und Versorgers gedrängt wurde

Unsere Beziehung hielt etwa sechs Jahre; ich denke, „halten“ ist das richtige Wort dafür, „dauern“ würde zu harmlos klingen. Als wir uns kennenlernten, war ich dreißig, du warst siebenundzwanzig. Sechs Jahre, von denen die letzten zwei über weite Phasen einem kalten Krieg glichen, bei dem ohne Worte mehr Schaden angerichtet wurde als in einem offenen Konflikt. Ein ständiges gegenseitiges Belauern, Stellungskämpfe, Vorstöße, Kämpfe um die emotionale Vorherrschaft und vor allem die „strategische Ausrichtung“ unserer Partnerschaft. Ein Kampf um Macht und Herrschaft, ohne dass es jemand von uns beiden so formuliert hätte. Nach einigen glücklichen Jahren waren da plötzlich Wertvorstellungen und Lebenspläne aufgetaucht, die nicht zusammenpassten und enormes Sprengpotenzial hatten.

Wir wollten zusammenziehen. Die Zeit war reif gewesen, denn wir harmonierten einfach gut miteinander. Endlich auch im Alltag zusammen aufwachen, einander die letzten Krümel Schlaf aus dem Augenwinkel reiben. Ein Guten-Morgen-Kuss, noch mit etwas Mundgeruch von der Nacht. Liebevoller Streit im Supermarkt um die Wahl des Klopapiers. Die Kunst, zwei Hausstände zu einem zu vereinen. All solche Dinge. Ich freute mich riesig darauf. Wir freuten uns darauf.

In den Tagen nach der aufgekeimten Idee vom Zusammenziehen zeigte sich zum ersten Mal deutlich, mit welcher Naivität ich unsere Beziehung bis dahin geführt hatte, ohne einen Blick für das Morgen. So hast du das damals zumindest ausgedrückt. Ich hatte es anders gesehen: Ich war dankbar für das, was wir hatten, wollte ein Wir, aber keine starren Pläne, an denen sich die Zukunft unserer Beziehung auszurichten hatte. Nach dem Motto: erst ziehen wir zusammen, dann heiraten wir, dann kriegen wir Kinder, dann … Ich glaubte, wir würden einfach spüren, wann der richtige Zeitpunkt für den nächsten Schritt gekommen wäre, so wie jetzt eben unser Zusammenziehen. Ich hatte die Vorstellung, eine Beziehung bräuchte kein Storyboard, sondern Zuneigung und Träume.

Doch in dieser Hinsicht tickten wir völlig unterschiedlich. Du hattest einen festen Plan, einen Plan, der weit älter als unsere Beziehung war, einen Plan, den du wohl irgendwann mal in deiner Jugend geschmiedet hattest und in den folgenden Jahrzehnten beharrlich umsetztest, was ich allerdings erst spät realisierte. Abi mit Traumnote – auch wenn du dich wohl heute noch über die „nur“ 10 Punkte in deiner mündlichen Prüfung aufregst –, Studium an einer renommierten Privatuni inklusive Auslandstrimester, danach erste Berufserfahrungen in einer Firma, die dir wöchentlich 60 und mehr Stunden deiner Lebenszeit absaugte, dafür aber als sicheres Karrieresprungbrett galt. Selbstbeherrschung und -disziplin bis hinein in den Masochismus sowie Ausdauer waren schon immer deins gewesen. Und dein Kalkül ging auf. Nach drei Jahren erhieltst du bereits eine äußerst lukrative und verantwortungsvolle Position in einem jungen Unternehmen, das zu dieser Zeit einen kometenhaften Aufstieg hinlegte.


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