Ich hatte fast vergessen, was wirklich wichtig ist

In einer fünfzig Meter langen Menschenschlange begriff unsere anonyme Autorin eines Abends, was wirklich wichtig ist im Leben und entschloss sich, neue Wege zu gehen

Vor kurzem war Black Friday. Ihr wisst schon, das ist dieser Tag, an dem plötzlich Tausende und Millionen von Menschen in Geschäfte strömen, um dort möglichst viele Schnäppchen abzugreifen. Ankündigungen wie „30% auf alles (außer Tiernahrung)“ oder „Bis zu 50% Rabatt“ wirken wie Magneten. Das ist ja wohl auch so gewollt. Denn vom Black Friday dauert es nicht mehr lange bis Weihnachten. Die Menschen sind in dieser Zeit willig, viel Geld auszugeben und zu konsumieren.

Auch ich habe mich dem Kaufrausch hingegeben. Ich „brauchte“ ein paar Tops und Handschuhe. Für sieben Euro Ersparnis gegenüber der UVP nahm ich gerne eine dreißig Meter lange Schlange in Kauf. Na klar. Als ich das Geschäft verließ, war ich dann so richtig gestresst. Raus aus dem Leuchtstoffröhrenlicht auf die Straße. Doch Halt, ich wollte doch eigentlich schon lange mal wieder ein neues Smartphone. Mein altes war ja „schon“ drei Jahre alt. Da gab’s bald keinen Support mehr und überhaupt lief das Ding nicht mehr wirklich rund, verglichen mit denen meiner Freunde. Also nochmal schnell zum Elektromarkt was abgreifen, sagte ich mir.

Dort angekommen verschlug es mir den Atem. Das Geschäft mit vier, fünf, ich weiß nicht wie vielen Etagen war rappelvoll. So rappelvoll, dass ich schon fast fünf Minuten brauchte, um überhaupt reinzukommen. Nervfaktor pur. Dabei war es schon halb sieben abends. Aber ich bin manchmal ziemlich stur und wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann lasse ich nicht nach, ehe ich es geschafft habe. Ich kämpfte mich vor bis in die Smartphoneabteilung – es glich wirklich ein bisschen einer Mischung aus Bouldern und Kampfeinsatz – und suchte mir ein Modell aus, das trotz Vergünstigung immer noch ein hoffnungslos überteuertes Lifestyleprodukt war, in mir aber für mächtige Glücksgefühle sorgte. Links und rechts von mir strahlende Gesichter. Eine Gemeinschaft von Leuten, die gewillt waren, gleich einen Großteil ihres Gehalts auszugeben. Auch ich strahlte voller Vorfreude. Ich sag nur Unboxing, ahoi!

Ich erwischte nach einer weiteren halben Stunde einen Verkäufer, der selbst kurz vorm Nervenzusammenbruch stand, erhielt eine Bestätigung und musste mich zur Abholung an eine Schlange anstellen, die im Kreis einmal fast ums gesamte Erdgeschoss reichte. Vor mir und hinter mir konsumglückliche und heftig genervte Gesichter. Ich ergab mich meinem Schicksal.

Mein „altes“ Smartphone vibrierte. Ich zog es aus der Tasche, entsperrte es. Oh, eine Push! Noch mehr Endorphine. Tinder wollte meine Aufmerksamkeit. Lukas, genaugenommen. Mit dem schrieb ich schon seit ein paar Tagen, obwohl ich eigentlich erst seit drei Wochen Single bin. Oder na ja, so ganz stimmt das nicht. Mein Freund und ich – wir haben so eine Art Waffenpause vereinbart, eine Beziehungspause. Es lief schon seit längerem nicht mehr so rund bei uns, aber wir wollten uns noch nicht aufgeben. Mein Freund beziehungsweise Zurzeit-Ex meinte, das sei übereilt, wir sollten es doch nochmal versuchen. Irgendwie sah ich das ja ein wenig wie er. Aber ich hatte da ehrlich gesagt trotzdem so meine Zweifel. Wir taten uns gerade nicht wirklich gut. Und irgendwie hatte das mit ihm nach ein, zwei Monaten Streit halt so krass genervt, dass ich einfach keinen Bock mehr darauf hatte. Unter einer Beziehung hatte ich mir was Tolleres vorgestellt. Aber dann zauberte er doch noch ein Kaninchen aus dem Basecap …


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