Zum Ende nicht allein: ein Alterswohnsitz für schwule Männer

Mehrgenerationenhaus, Rollstuhlgerecht, eingebundene Pflege-Wohngemeinschaft. Das Haus “Lebensort Vielfalt”, in bester Lage im Berliner Stadtteil Charlottenburg, ist eine einmalige Erfolgsgeschichte

Maßgeblich für diesen Erfolg verantwortlich ist Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin. De Groot ist die Sorte Mensch “gesagt-getan”, ausgestattet mit  jeder Menge Charme und Leidenschaft für seine Sache. Im Jahr 2003 hatte die Schwulenberatung Berlin das Netzwerk Anders Altern (NAA) ins Leben gerufen und beschlossen: Wir müssen einen Ort schaffen, an dem schwule Männer mit ihren Bedürfnissen und Erfahrungen in Ruhe und Würde alt werden können. Einen Ort an dem schwul sein normal ist. “Geschütztes Wohnen” nennt es de Groot.

Als die Suche nach einem geeigneten Haus und dessen Finanzierung begann, standen dreißig Interessierte  auf der Warteliste. Heute sind es Dreihundert. Dreiunddreißig Menschen – hauptsächlich schwule Männer, daneben ein paar Frauen – leben aktuell in dem Haus in der Niebuhrstraße 58/60. Darunter zwei Paare. Die Wohnungen sind alle sehr schön und gut geschnitten, sehr hell mit Balkon zur Südseite. Freundliches Maigrün dominiert die Flure. Die Mieten sind mit einer Durchschnittsrente gut bezahlbar: Die teuerste Wohnung kostet € 900,- für 80 qm, die preisgünstigste liegt auf Hartz IV Niveau. So ist eine gute Mischung an Bewohnern zustande gekommen, wovon der jüngste dreiundzwanzig und der älteste dreiundachtzig Jahre alt ist.

Wer das Haus durch den Haupteingang betritt, wähnt sich in der Lobby eines gehobenen Mittelklassehotels. Ein Empfang zur Rechten, eine gut sortierte Bibliothek zur Linken, in der Mitte violette Polster und Grünpflanzen, kleine Kronleuchter funkeln unter der Decke. Hinter diesem Entrée befindet sich das “Wilde Oscar”, ein großes, helles Café/Restaurant mit Bühne für die regelmäßigen Veranstaltungen. Ein sorgsam gestalteter Garten mit lauschigen Sitzmöglichkeiten lädt zum Verweilen ein. Hier lässt es sich aushalten. Der Haupteingang ist vor allem Zugang zum Restaurant und zur Schwulenberatung. Die Haustür und der Flur für die Bewohner, ein paar Meter weiter, ist weit weniger glamourös. Dass der Empfang nicht auch als Concierge für ihre Belange gedacht ist, hat manch einen Bewohner in den Anfangszeiten enttäuscht.

Dieser Anfang ist noch gar nicht lange her. Nach Umbaumaßnahmen sind im April 2012 die ersten Mieter eingezogen. Ist der Lebensort Vielfalt so geworden, wie de Groot sich das einst vorgestellt hat? Er muss laut lachen. “Nein, eigentlich nicht. Aber in einem positiven Sinn. Wir haben uns professionalisieren müssen. Die Rollen deutlicher machen müssen.” Wir, das sind die Mitarbeiter der Schwulenberatung, die Eigentümer des Hauses und somit Vermieter der insgesamt 24 Wohnungen. Und weil es ein großes Haus ist, vier Stockwerke hoch, ist die Schwulenberatung gleich mit eingezogen und sitzt nun in der gesamten 1. Etage. “Wir duzen uns alle und am Anfang sind viele Bewohner noch wegen jeder Kleinigkeit in ihrer Wohnung zu uns runter gekommen. Aber so konnten wir als Beratungsstelle einfach nicht mehr arbeiten.” Das war dann doch ein wenig zu viel Nähe. Und wie in jedem gewöhnlichen Mehrparteienhaus auch gibt es im Lebensort Vielfalt einfachere und schwierigere Bewohner. Es wurde schließlich ein Hausmeister eingestellt und klare Grenzen gezogen.

Jederzeit offene Ohren für Sorgen

Transparenz und Gemeinschaft sind in dem Modellprojekt nach wie vor wichtig. Wer Sorgen hat, der wird jederzeit ein offenes Ohr finden und wer Hilfe braucht, der bekommt sie. Es gibt eine Theater AG und eine Garten AG, die Bibliothek wird von einem Hausbewohner gepflegt, einem ehemaligen Buchhändler. Jeder Bewohner kann tun und lassen was er will und seine Wohnungstür auch einfach geschlossen lassen. Ausgewählt werden neue Bewohner übrigens ganz basisdemokratisch durch die Mieterversammlung.

Eine der Wohnungen im Lebensort Vielfalt ist eine Wohngemeinschaft: Acht schwule Männer mit Pflegebedarf oder einer Demenz leben dort. Betreut werden sie von einem Pflegedienst und einem Mitarbeiter der Schwulenberatung. Und zwar so gut, dass Bewohner auch schon wieder ‚fit‘ gepflegt wurden.

De Groot hat bereits ein neues Projekt in Angriff genommen. Diesmal sucht er ein Grundstück, auf dem ein komplett neues Haus gebaut werden soll. Dort soll es eine hauseigene Kita geben. Damit endlich eine Generation heranwächst, für die schwul sein wirklich normal ist.


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