Halte den fest, der dir die Schuhe bindet und die Haare hält

Warum die Chemie in der Liebe zwar stimmen muss, es am Ende aber auf völlig andere Dinge ankommt

Wenn man jemanden kennenlernt, hört man schnell mal auf seinen Unterleib. Das meine ich gar nicht so abschätzig, wie es klingt. Aber es ist doch so: Sprühen die Attraktivitätssensoren auf Anhieb Funken, ist man schnell angefixt und legt sich besonders ins Zeug, um bei Mr. Sexy zu landen. Im Grunde sind wir aber natürlich schlau genug, um zu wissen, dass Funkelaugen, schöne Hände, eine maskuline Stimme, oder was auch immer auf uns persönlich besonders anziehend wirkt, noch keine Liebe mit Substanz garantieren. Denn das ist es doch, wonach die meisten von uns wirklich suchen – jemand, der mit uns durch alle krummen Biegungen des Lebens geht, jedes Auf und jedes Ab begleitet und sich durch nichts (und niemanden) auf der Welt davon abbringen lässt, uns zu lieben.

Eine enge Freundin hat mir das vor ein paar Tagen wieder sehr eindrucksvoll vor Augen geführt. Wir saßen abends bei einem Glas Wein zusammen in ihrer Küche, eins der ersten Schlückchen, das sie sich nach der Geburt ihres ersten Kinds genehmigte. Vielleicht lag es also auch ein bisschen an der Wirkung des Alkohols nach langer Abstinenz, dass sie so unverblümt zur Sache kam. „Weißt du, Kat“, sagte sie, „ich hab ja irgendwie immer gewusst, dass Sebastian ein toller Mann ist – sonst hätte ich ihn vermutlich nicht geheiratet. Aber wie großartig er wirklich ist, hab ich erst in den letzten eineinhalb Jahren gemerkt. Und das, obwohl er mir manchmal auch gnadenlos auf den Senkel gehen kann.“

Ich hakte nach. Zum einen, weil ich ihr Redebedürfnis spürte, zum anderen, weil es mich wirklich interessierte. „Was genau hat denn diese Erkenntnis ausgelöst?“, fragte ich mit gezückten Brauen über den Rand meines Glases. „Ich weiß nicht, er war einfach die ganze Zeit so sehr da. Ich hatte so viele Geschichten gehört und gelesen, von Frauen, die sich in der Schwangerschaft und allem Drum und Dran verdammt allein fühlten. Mit der Übelkeit, der eingeschränkten Bewegung gegen Ende, Blutungen, dem ganzen postnatalen Kram, sowas halt. Du weißt, dass ich keine weinerliche Memme bin, aber manchmal haut einen das echt um. Und er war immer da, hat Sachen gegoogelt, wenn ich unsicher war, hat mir die Haare gehalten, wenn ich kotzen musste und mir die Schuhe zugebunden, als ich mit der Kugel nicht mehr runter kam. Einfach so, ganz selbstverständlich. Er hat mich beruhigt, in allem unterstützt und mir nach der Geburt sogar diese dicken Schlüppi-Einlagen gekauft, ohne zu murren.“ An der Stelle grinste sie und ich auch. „Wir haben das wirklich zusammen durchgestanden.“


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