unerhört: Sie kommt von ihrer Sekte nicht los

Unser beziehungsweise-Leser hat die Frau seiner Träume gefunden. Ihre Beziehung funktioniert, doch da ist der Einfluss der Sekte, der sie angehört. Nachdem sie ein Jahre Distanz halten konnte, will sie nun doch wieder zurück in die Gemeinde.

Frage: Sie leidet unter der Sekte, der sie und ihre Familie seit Generationen angehören. Warum will sie wieder zurück in diese Abhängigkeit?

Meine Freundin und ich sind jetzt bereits sechs Jahre zusammen. Sie ist Mitglied in einer kirchlichen Gemeinde. Sie und ihre gesamte Familie. Seit mehreren Generationen. Diese Gemeinde wird bei Wikipedia als “Sekte” geführt. Das hat mich anfangs ziemlich abgeschreckt. Ich wurde nicht kirchlich erzogen und um ehrlich zu sein, war das ganze Thema Kirche mir bereits als Kind im Religionsunterricht ein Graus. Was uns dort eingetrichtert wurde, das konnte doch niemand ernsthaft glauben! Ich war auf einigen katholischen Trauungen Gast und ich musste mir wirklich verkneifen, mit den Augen zu rollen. Ich fühlte mich dort  komplett deplatziert. Das zu meiner Vorgeschichte.

Meine Freundin ist der tollste Mensch, den ich kenne. Sie ist einfühlsam, hilfsbereit, eine Romantikerin, Familienmensch, wir teilen den selben Humor, ich fühle mich angenommen, gesehen und gewertschätzt. Sie gibt mir das Gefühl, für sie einzigartig zu sein. Lange konnte ich mir keine bessere Frau an meiner Seite vorstellen.

Ich dachte deshalb, ich muss es einfach versuchen. Ich bin sogar mit in den Gottesdienst gegangen. Ich dachte, vielleicht wird es gar nicht so schlimm. Es war schlimmer. Ich war regelrecht geschockt. Dazu kommt, dass meine Freundin ein Ehrenamt in der Gemeinde ausgeübt hat. Das hat mich auch stolz gemacht. Leider habe ich nach und nach mitbekommen, dass sie dort ausgenutzt wurde. Es ging so weit, dass sie kaum noch ein Privatleben hatte. Es wurde ihr so viel Arbeit aufgebürdet, dass sie selbst sagte, sie hätte das Gefühl, sie hätte einen Zweitjob. Manchmal war sie die halbe Nacht auf, um für die Gemeinde zu arbeiten.

Hinzu kommt, dass ihre Familie erheblichen Druck ausübt. Ihre Eltern mischten sich mehr als nur einmal in unsere Beziehung ein. Immer wurde ich schlecht gemacht. Als ich krank wurde und einige Operationen über mich ergehen lassen musste, merkte ich, dass ich auf mich allein gestellt sein würde, wenn es darauf ankäme. Denn sie konnte ihre Verpflichtungen nicht aussetzen und hatte für mich keine Zeit. Ihre Familie machte es uns auch nicht leicht. Ich wurde leider abgelehnt. Vielleicht weil ich “von außerhalb” kam, wie sie es nannten. Und sie hielt immer zu ihrer Familie. Irgendwann war ich mit meinen Kräften am Ende, es konnte doch nicht ewig so weiter gehen. Wir liebten uns. Aber wir machten uns kaputt. Ich machte Schluss.

Das war aber nicht das Ende. Wir hielten Kontakt und beschlossen, gemeinsam – freundschaftlich verbunden – ein Jahr lang durch die Welt zu reisen. Wir wollten wissen, wie es mit uns weitergehen würde, wenn wir nicht zuhause wären. In der Planung erzählte sie mir irgendwann, die Sache mit der Gemeinde würde sie nur noch stressen. Sie hatte ihr Amt niedergelegt, ging nicht mehr zum Gottesdienst und konnte es kaum erwarten, von allem weg zu kommen. Das machte mir Mut.

Wir flogen von Kontinent zu Kontinent, die Zeit unseres Lebens begann, ich möchte behaupten, wir verliebten uns noch einmal neu ineinander. Ich fragte sie, ob das Thema mit der Gemeinde wirklich für sie erledigt wäre. Ich fragte sie sogar danach, ob sie jemals den Mut aufbringen würde, es offiziell zu machen und es ihrer Familie zu verkünden. Sie bejate! Ich schöpfte Hoffnung. Wir kamen wieder zusammen. Wir genossen unsere Zeit. Wir waren glücklicher als jemals zuvor. Wir haben das Paradies gesehen, Dinge zusammen erlebt, die wir unser Leben lang nie wieder vergessen werden. Es war wirklich wie im Märchen. Wir hatten ein wundervolles Jahr. Alle großen oder kleinen Probleme haben wir zusammen gemeistert. Wir waren wirklich ein großartiges Team!

Leider fühlt es sich jedoch nun so an, als würde meine Welt erneut zusammenbrechen.

Denn sie hat mir eröffnet, ihre Gemeinde würde ihr fehlen und sie könnte nicht austreten. Das würde für sie bedeuten, sie müsste einen Teil ihres Lebens aufgeben. Ich verstehe sie sogar. Was ich nicht verstehe, warum sie mir dann überhaupt erst gesagt hat, dass sie dort austreten wollen würde?

Hat sie mich belogen? Wofür? Damit es am Ende noch einmal richtig weh tut? Damit ich mir noch einmal falsche Hoffnungen mache? Mich noch mehr in sie verliebe? Ich verstehe gar nichts mehr.

Sie wünscht sich ein Gespräch. Sie möchte, dass ich sie verstehe. Und sie möchte meine Sicht verstehen. Sie möchte mit mir einen Weg finden, dass es mit uns funktioniert. Ich frage mich, was jetzt anders ist. Es ist nicht so, als hätten wir das vorher nicht schon diskutiert. Jahrelang. Ich fühle mich betrogen. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich mich nicht wieder auf sie eingelassen. Das weiß sie auch. Ich bin unglaublich verletzt und wütend. Ich bin so wütend, dass ich das Gespräch, das sie sich wünscht, momentan nicht führen kann. Ich bin viel zu emotional. Wenn ich das Wort Gemeinde nur höre, dreht sich mir der Magen um. Ich bin fassungslos, dass das wirklich passiert.

Was soll ich jetzt machen? Ich bin verzweifelt.


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