“Beziehungsunfähig” – Meint ihr das eigentlich im Ernst?

Autorin Anna Karoline Stock warnt vor Selbst-Diagnosen, die unglücklich und einsam machen. Denn sind wir nicht alle auf der Suche nach dem einen sicheren Hafen? Nach dieser einen Person, mit der wir uns vorstellen können, unseren Lebensabend zu verbringen? 

Sie sitzen gemeinsam auf einer Parkbank am See. Er liest Zeitung, sie wirft den Enten Brotkrumen zu. Nach einiger Zeit stehen sie auf, rücken ihre Mäntel zurecht und gehen Hand in Hand davon – ein Bild wie aus dem Märchenbuch. Gibt es das heutzutage überhaupt noch? Diese eine beständige, existenzielle Liebe, bei der man auch mit 80 Jahren noch zusammen in den Park geht und Händchen hält? Wenn ich meine Mitmenschen betrachte, sehe ich viele streitende Paare, solche, die sich schon lange etwas vormachen und solche, die sich nach 40 Jahren Ehe nicht mehr ertragen, aber auch nicht ohne einander sein können. Idylle und Harmonie wie aus dem Märchenbuch sind eher die Ausnahme.

Beziehungen gehen in die Brüche. Auf eine Trennung folgt irgendwann eine neue Beziehung, welche jedoch über kurz oder lang von der nächsten Trennung heimgesucht wird. Einen konkreten Grund für die Eskalation gibt es in den meisten Fällen nicht. Es passiert einfach. Die Beziehung plätschert vor sich hin und landet im Nirgends – ohne vorausgehenden Konflikt, gegen unseren Willen. Steht es womöglich gar nicht in unserer Macht, dieses Dilemma zu verhindern, weil jede Beziehung früher oder später endlich ist?

Wie steht es um unsere Beziehungs- und Kompromiss-Kompetenz?

Wenn man Literatur und Wissenschaft Glauben schenkt, sind die Menschen nachweislich nicht beziehungsfähig. Nicht umsonst diskutiert Michael Nast in seinem Buch „Generation beziehungsunfähig“, ob die Liebe nur ein Mythos ist. Paartherapeut Ulrich Clement zufolge ist es sogar wahrscheinlicher, dass eine Beziehung scheitert, als dass sie hält. Genügend Beispiele aus dem wahren Leben bestätigen seine These. Offensichtlich schaffen wir es nicht, eine Beziehung dauerhaft aufrecht zu halten.

Wäre Beziehungslegasthenie eine wissenschaftlich anerkannte Krankheit, hätten die meisten unter uns wohl eine umfangreiche Patientenakte. Und einen unumstrittenen Nachweis dafür, dass ihre Beziehungseskapaden zum Krankheitsbild gehören.


Weitere interessante Beiträge