„Beziehung? Nein, danke!“ Von der Angst verletzt zu werden

Die Tinder-Generation macht es uns vor, wir machen es ihr nach. Oder war es andersrum?

In den letzten Jahren hat sich ein neuer Trend etabliert: Wir vergeben unsere Handynummern wie Geschäftsmänner ihre Visitenkarten. Doch wir schaffen uns kein Netzwerk, welches uns beruflich voranbringt, sondern knüpfen kurzlebige Kontakte, die uns für einen Moment ein befriedigendes Gefühl vermitteln. Die Ernsthaftigkeit einer Beziehung? Totale Fehlanzeige.

Willkommen in der Oberflächlichkeit

Stattdessen werden ein paar Oberflächlichkeiten über WhatsApp ausgetauscht oder Dating-Plattformen wie Tinder und Lovoo zum Dauerbrenner auf dem Smartphone. Geht man noch weiter, trifft man sich vielleicht sogar auf eine schnelle Nummer, nur um nachts direkt danach fluchtartig die Wohnung des anderen wieder zu verlassen. Denn „Bleiben“ bedeutet Verbindlichkeit. Man müsste am nächsten Morgen miteinander reden – und das würde bedeuten, sich dem anderen zu öffnen. Das möchte unsereins nicht.

Aber einen Vorteil hat das Ganze: Wir können nicht verletzt werden. Per Knopfdruck ist der Tinder-Kontakt entfernt, die Nummer gelöscht, die Erinnerung weggewischt.

Wir sind aus Teflon: An uns perlt jede Emotion ab

Die Frage ist aber: Was wollen wir wirklich? Sind wir nicht alle irgendwie mit der Vorstellung groß geworden, eine Familie sei erstrebenswert? Eine glückliche Partnerschaft, in der man sich morgens „Ich liebe dich“ sagen kann und dies auch genauso meint? Irgendwann heiraten, Haus bauen und Kinder kriegen?

Stattdessen schreiben wir parallel mit so vielen Kontakten, dass wir sie an einer Hand nicht mehr abzählen können. Auf den Kaffee wollen wir uns nicht treffen. Denn das würde bedeuten, täglich mindestens einen Kaffee mit jemandem zu trinken und immer wieder das Gleiche erzählen zu müssen. Zehn Leuten pro Woche zu sagen, welche Musik ich höre und welches meine ach so kreativen Hobbies sind (Freunde und Musik darf man mittlerweile ja nicht mehr antworten), bringt mir überhaupt nichts und befriedigt mich nicht. Wer schafft es denn auch in dieser einen Stunde, mich wirklich zu überzeugen?

Tinder und Co ermöglichen es, schnell tiefer einzusteigen, grundsätzliche Triebe des Menschen zu befriedigen, ohne sich jemandem öffnen zu müssen. Geht man schnell auf diese Ebene, bleibt der oberflächliche Smalltalk aus. Was kann es besseres geben?

Wer ist eigentlich noch mal Jacky Tinder?

Unsere Angst davor, uns zu verlieben und auf Zurückweisung zu stoßen oder später gar verletzt zu werden, ist größer als die Peinlichkeit, dass unsere Kontakte im Smartphone inzwischen Jacky Tinder oder Manuel Lovoo heißen. Ist das nicht ziemlich bescheuert?

Worauf warten wir eigentlich? Dass wir irgendwann erwachsen sind und uns emotional stabil genug fühlen, mit Enttäuschungen umzugehen? Gehören diese nicht zum Verlieben dazu? Und ist es nicht besser, hin und wieder einen Rückschlag zu erleben, als irgendwann gemerkt zu haben, was man verpasst hat? Dass man sich nie eingelassen hat auf das allergrößte Gefühl im Leben? Warten wir ewig auf den richtigen Zeitpunkt für eine Beziehung oder erwischt uns die Liebe nicht genau dann, wenn wir nicht mit ihr rechnen?

Jetzt öffnen!

Darum sollten wir im neuen Jahr einmal aufräumen. Alle Nummern löschen, zu denen wir schon heute kein Bild mehr im Kopf haben und von vorne anfangen. Uns einlassen auf das, was das Leben und die Liebe für uns bereit halten.

Es ist Zeit, der Angst vor Verletzung die kalte Schulter zu zeigen. Hallo Freude des gemeinsamen nebeneinander Aufwachens, darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Kevin.


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